Der widerspenstige Planet
aber delikat. Er lebte in Nizza und versuchte mit der dortigen provenzalischen Küche zurechtzukommen, die er mit importierten Kidneybohnen und Sojasauce und weiß Gott was allem ergänzte. Er sagte mir, es sei ein Hundeleben, aber vielleicht lag das zum Teil an seiner Frau.
Es gab also Präzedenzfälle für das Verhalten meines Amerikaners. Er war offenkundig einer der Menschen, die nie einer wirklich zu ihnen passenden Küche begegnet sind. Jetzt hatte er sie in meiner Rijstaffel gefunden und er aß, um dreißig oder vierzig Jahre der Entbehrung aufzuholen.
In einer solchen Situation muss der moralische Küchenchef versuchen, die Verantwortung für seinen gefräßigen Gast zu übernehmen. Der Küchenchef befindet sich schließlich in der Lage eines Marionettenspielers; er ist es, der die
kulinarischen Wünsche seines Gastes steuert. Ich kannte in Paris einen französischen Küchenchef, durchdrungen vom Geiste Escoffiers, der sich grundsätzlich nicht dazu herabließ, seinen Gästen eine zweite Portion Quiche Lorraine oder Tarte d’Oignon zu servieren, die zu seinen Spezialitäten gehörten. Er sagte: »Eine zweite Portion, egal wovon, ist die Verzerrung einer ausgewogenen Mahlzeit und ich gebe mich nicht dazu her, für ein paar schäbige Francs Perversitäten zu unterstützen.«
Der Meisterkoch hatte zwar meinen Beifall, aber ich war unfähig, seinem Beispiel zu folgen. Ich war im Grunde kein Küchenchef, sondern nur ein armer Italiener mit einem unerklärlichen Talent für die Zubereitung einer Rijstaffel. Mein eigentlicher Wunsch war zwar, Kunstmaler zu werden, doch zu meinem größten Bedauern habe ich einen etwas wankelmütigen Charakter.
Und so fuhr ich fort, meinen Gast vollzustopfen, und meine Sorgen, ihn zu verlieren, wurden immer größer. Ich hatte das Gefühl, dass der Mann mir jetzt gehörte, auch wenn es keinen Vertrag zwischen uns gab. Spätnachts pflegte ich zitternd zu erwachen; ich hatte geträumt, dass mein Gast mich mit seinem enormen Mondgesicht anblickte und erklärte: »Ihre Sambals sind nicht würzig genug. Ich war ein Narr, dass ich mich je von Ihnen habe verpflegen lassen. Unsere Beziehung ist beendet.«
Rücksichtslos verdoppelte ich seine Portionen Sataj Kambing Madura, servierte den Reis in Öl und Safran gebraten statt gekocht, fügte eine großzügige Portion Sate Ajam, Huhn in Chilisauce mit gemahlenen Nüssen, hinzu: alles sehr nahrhaft, alles dazu bestimmt, seine Abhängigkeit von mir zu erhalten und zu steigern.
Mir scheint, er aß und ich kochte in einem Zustand des Deliriums. Sicherlich waren wir inzwischen beide nicht mehr normal. Er war nunmehr unförmig geworden, eine
aufgeblähte, pralle Wurst von einem Menschen. Jedes Pfund, das er zunahm, schien mir ein Beweis für meine Macht über ihn zu sein. Es war aber auch eine Quelle wachsender Besorgnis für mich, denn er konnte nicht ewig so zunehmen.
Und dann änderte sich eines Abends alles.
Ich hatte eine kleine zusätzliche Delikatesse für ihn vorbereitet, Sambal Ati, Krabben in Chilisauce, eine Extravaganz, wenn man die ständig steigenden Krabbenpreise bedachte. Trotzdem, ich glaubte, sie würden ihm schmecken.
Er kam nicht, obwohl es einer seiner regulären Abende war. Ich hielt das Restaurant zwei Stunden länger geöffnet als üblich, aber er kam nicht.
Am nächsten Abend blieb er auch fort.
Am dritten Abend erschien er wieder nicht.
Erst am vierten Abend watschelte er herein und setzte sich auf seinen Platz.
Ich hatte mit dem Mann nie gesprochen, seitdem er bei mir speiste, doch nun nahm ich mir die Freiheit heraus, an seinen Tisch zu treten, mich höflich zu verbeugen und zu sagen: »Wir haben Sie die letzten Abende vermisst, Mijnheer.«
»Es tut mir leid, dass ich nicht kommen konnte«, erwiderte er. »Ich fühlte mich nicht wohl.«
»Nichts Ernstes, hoffe ich.«
»Durchaus nicht. Nur ein kleiner Herzanfall. Der Arzt meinte aber, ich sollte ein paar Tage im Bett bleiben.«
Ich verbeugte mich wieder. Er nickte. Dann kehrte ich in meine Küche zurück und rührte in den Töpfen. Pablo wartete darauf, dass ich die Schüsseln füllte. Der Amerikaner stopfte die riesige rote Serviette, die ich eigens für ihn angeschafft hatte, in den Kragen und wartete.
Auf einmal kam mir sehr drastisch zu Bewusstsein, was ich schon die ganze Zeit geahnt haben musste: Ich war dabei, diesen Mann umzubringen.
Ich starrte meine Töpfe mit Sambals und Sates, meine Reiskessel, meine Sajorfässer an und erkannte sie als
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