Der Widerstand: Demi-Monde: Welt außer Kontrolle 2 (German Edition)
Schwester Florence und ihre beiden Begleiter am unteren Ende der rue de Torquemada abzusetzen. Es fiel ihnen nicht schwer, sich in den fremden Straßen von Saint-Germain-des-Prés zurechtzufinden. Sie mussten sich nur dem Mob anschließen. Hunderte von leicht bekleideten jungen Leuten schwärmten lärmend durch die engen Gassen, angefeuert von den Anwohnern, die sich aus ihren Fenstern beugten oder in den Türeingängen standen. Schwester Florence nahm die Lady am rechten Arm, de Sade am linken; so führten sie sie ins Gewimmel und ließen sich von der Menge ausgelassen tanzender und singender Studenten mitreißen. Sie alle trugen Kostüme, neben denen die von Schwester Florence und Lady IMmanual wie der Inbegriff des Anstandes wirkten.
Selbst Schwester Florence, die an den ImPuritanismus gewöhnt war, hatte noch nie so viel nackte Haut auf einmal gesehen. Und ihre Befürchtungen, Lady IMmanual könnte allzu leicht bekleidet sein, wurden beim Anblick der vielen jungen Mädchen beiseitegefegt, die nichts als einen winzigen Lendenschurz und ein Lächeln zur Schau trugen.
Zwischen Jules’ Interpretation des Mottos »Dämonen und ihre seltsamen Werke« und der der Studenten schienen Welten zu liegen. Die Studenten hatten sich mit roter und blauer Farbe beschmiert und sonst so gut wie nichts am Leib … obendrein waren sie bis zum Rand mit billiger Lösung abgefüllt. Jetzt befürchtete Schwester Florence, dass sich Lady IMmanual möglicherweise allzu vornehm verkleidet hatte. Das von dem jungen Couturier entworfene Kostüm und seine kunstvolle Bemalung unterschieden sich krass von der lässigen Aufmachung der Studiosi. Lady IMmanual fiel auf. Nicht, dass dieser Unterschied sie daran gehindert hätte, sich zu vergnügen. Vom Strudel der ausgelassenen Feiernden hin und her geworfen, beobachtete Schwester Florence, wie ein Student Lady IMmanual eine Flasche Lösung in die Hand drückte. Zu ihrer Überraschung nahm sie einen kräftigen Schluck und bedankte sich, indem sie sich küssen und ihre nackte rechte Brust befummeln ließ. Abwesend fragte sich Schwester Florence, ob die echte Lilith ihren Jüngern jemals erlaubt hätte, sich derartige Freiheiten herauszunehmen.
Als Zolotow seinen Dampfwagen verließ, war er entsetzt über das Chaos, das ihn empfing. Obwohl er nur Sekunden nach ihr ausgestiegen war, hatte er seine Beute im Getümmel der überfüllten Straßen bereits aus den Augen verloren.
Während er dastand und von der Menschenmenge hin und her gestoßen wurde, wusste er nicht, was er als Nächstes machen sollte. Von Lady IMmanual und Schwester Florence war trotz ihrer Körpergröße keine Spur mehr zu sehen. Er brauchte unbedingt einen Aussichtspunkt, um sich einen Überblick zu verschaffen.
Ungeachtet des Protestes seines Chauffeurs kletterte er auf das Verdeck des Dampfwagens und schaute über das Meer von Menschen.
Da ist sie!
Er sprang wieder herunter und bahnte sich mit Hilfe seiner Ellbogen und Fäuste rücksichtslos einen Weg durch die Menschenmassen auf sie zu. Es war alles andere als leicht: Die Straßen wimmelten von übermütigen und betrunkenen Studenten, die sich offensichtlich einen großen Spaß daraus machten, einen ehrbar wirkenden Mann wie ihn zur Weißglut zu bringen. Als Erstes kam ihm der Zylinder abhanden, und nur mit Mühe und Not, unter geschickter Zurhilfenahme seiner Stiefel und Fäuste, gelang es ihm, sich der zahlreichen leidenschaftlichen Übergriffe auf seine Männlichkeit zu erwehren, gab doch sein knallroter Hosenbeutel eine unwiderstehliche Zielscheibe ab.
Fünf Minuten in dem wilden Handgemenge genügten, um aus dem tadellos frisierten und gekleideten Lebemann einen pöbelnden, tauben Hanswurst zu machen. Die Taschen seines Jacketts waren zerrissen, seine Hose pitschnass vom Wein, und das Haar fiel ihm zerzaust über die Schultern. Der stets elegante Zolotow war angewidert und schwor sich, die verfluchte Hexe für seine Unannehmlichkeiten teuer bezahlen zu lassen. Sie würde langsam und unter größten Schmerzen sterben müssen – ein Genuss mehr für ihn.
Sobald de Sade den Schutz des Dampfwagens verlassen hatte, stellte er fest, dass der MummenSchanz des Quat’z Arts eine ohrenbetäubende Angelegenheit war. Mehrere improvisierte Kapellen hielten die Menschenmenge mit lauter, zumeist schrecklich falsch klingender Musik bei Laune. Nicht wenige der Feiernden hatten sich mit Trommeln und Tamburinen bewaffnet, und bei jedem achten Takt brüllte der Mob Vive les artistes
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