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Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman

Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman

Titel: Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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bei jeder Kleinigkeit geprügelt, wenn mein Vater es ihm erlaubt hätte. Im übrigen kannte er sein Fach und hatte nur einen Fehler: da er eine Abhandlung über Befestigungswerke verfaßt hatte, ließ er sich mit Vorliebe über Sichtweiten, Flankendeckung, Sappen und Kontersappen aus, anstatt bei seinen Zahlen zu bleiben. Trotzdem sind mir seine Auslassungen später äußerst nützlich geworden.
    In sehr angenehmer Erinnerung bewahre ich Mademoiselle de Saint-Hubert, die mich Englisch und Italienisch lehrte. Ihre Mutter war Engländerin und hatte einen französischen Edelmann aus gutem, aber armem Hause geheiratet, der Sekretär bei dem Kardinal d’Ossat war, als dieser noch ein kleiner Abbé und in geheimer Mission in Rom weilte, um die Aufhebung der Exkommunikation Heinrichs Quatre zu erwirken. Während die Angelegenheit sich über Jahre hinzog, lernten Mutter und Tochter Italienisch – am besten aber die Tochter, weil sie noch ein Kind war.
    Geneviève de Saint-Hubert war ein reizendes, hochgewachsenes Mädchen, brünett, mit versonnenem Blick, biegsamem Hals, anmutiger Taille. Wäre sie ein junger Manngewesen, sie hätte ihren adligen Namen einer vermögenden bürgerlichen Jungfer mit in die Ehe bringen können. Für ein Mädchen aber war an nichts derlei zu denken. Eine Mitgift hätte selbst ein Kloster verlangt, und ihr Vater, der von einer winzigen Rente lebte, konnte ihr gerade nur das Essen und eine warme Stube bieten.
    Sie war achtzehn, als sie in unser Haus in der Rue Champ Fleuri kam und es mit ihrer jungen Schönheit erleuchtete. Ich war fünf und verfiel bei ihrem Anblick in die heftigste Verliebtheit. »Heftigste« ist wirklich das treffende Wort, was immer der Leser denken möge. Friederike, meine Milchschwester, die es mit ihren Tränen durchgesetzt hatte, meinen Lehrstunden beizuwohnen und, da ihr Geist so lebhaft war, auch fortan daran teilzunehmen, bemerkte es als erste und hegte deshalb wütenden Groll.
    Wir schliefen in einer kleinen Kammer in zwei nebeneinander stehenden Betten, aber viel öfter eins in des anderen Armen als getrennt, so als hätte uns dieselbe Milch aus derselben reichfließenden Brust gewissermaßen zu Zwillingen gemacht. Geneviève de Saint-Hubert wurde der Gegenstand unseres ersten Streites. Denn da Friederike spürte, welche leidenschaftlichen Gefühle das Fräulein in mir erweckt hatte, kniff sie mich eine Woche lang bis aufs Blut, sowie ich nur einschlafen wollte. Flüchtete ich mich aber in mein eigenes Bett, kam sie mir nach und setzte ihre Quälerei fort.
    Schließlich entdeckte Greta, als sie mich badete, daß ich mit blauen Flecken übersät war. Friederike gestand alles, wurde geschlagen, bereute und versprach, sich zu bessern. Acht Tage darauf fing sie wieder an, aber diesmal wußte ich ja, daß sie Böses tat – wessen ich mir vor ihrer Bestrafung nicht sicher war –, und schlug sie. Nun weinte sie, da bekam ich Mitleid, warf mich über sie und küßte ihr die Tränen von den verweinten Wangen. Wenig darauf schloß sie mich in die Arme und erwiderte meine Küsse. Daß wir nun wieder versöhnt, wieder ganz eins waren, gab mir ein unsagbar köstliches Gefühl – ein tatsächlich so lebhaftes Gefühl, daß ich mich seiner noch heutigen Tages mit Wärme erinnere.
    Geneviève de Saint-Hubert besaß all jene Talente, die man den Mädchen zugesteht, auch wenn man sie für nutzloses, schmückendes Beiwerk hält. Sie konnte Clavichord spielen,singen, Verse aufsagen. Ich war mehr für die Musik der Worte als des Instrumentes empfänglich, aber ich sah zu gerne, wie ihre leichten Finger über die Tasten liefen und ihre schönen weißen Arme sich bewegten. Sie spielte mit großem Einsatz, und wenn das Stück zu Ende war, perlte ein wenig Schweiß auf ihrer Stirn, und ihre Brust hob und senkte sich von der Erregung, in die sie sich gebracht hatte. Danach blieb sie noch eine Weile mit erhobenem Kopf und träumenden Augen sitzen, ihre Hände ruhten auf der Claviatur, und da mein Gesicht, wenn ich neben ihr stand, gerade in Höhe ihres nackten Armes war, erkühnte ich mich eines Tages, meine Lippen darauf zu drücken, so schön und wohlgerundet fand ich ihn. Zu meiner großen Überraschung erbebte Mademoiselle de Saint-Hubert heftig und errötete. Und erst einen Augenblick später, da sie mich ganz erschrocken sah, fing sie an zu lachen, zog mich an sich und küßte mich.
    Kinder sind listiger, als man glaubt. Ich weiß noch sehr gut, daß ich gewartet hatte, bis Friederike

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