Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman
seinem Alter auch getan.«
»Also ist das Frauenzimmer nach Eurem Geschmack.«
»Ist sie es nach Eurem nicht?«
»Ihr versteht mich sehr gut!« sagte meine Patin gereizt.
»Nein, Madame«, sagte mein Vater laut und deutlich, »ich verstehe Euch nicht. Mademoiselle de Saint-Hubert ist achtzehn Jahre alt, ich bin über fünfzig. Welche Wahrscheinlichkeit gibt es, daß ein Graubart ...«
»Ein sehr grüner Graubart ...«
»Meine Liebste, habt Dank für das Kompliment.«
»Lacht nicht, Monsieur! Habe ich doch gesehen, mit diesen meinen Augen gesehen, daß die Jungfer, wenn sie einen Raum betritt, wo Ihr seid, nur Augen für Euch hat.«
»Madame, da heißt es wählen. Bin ich der Versuchte oder der Versucher?«
»Beides.«
»Ich bin weder eins noch das andere. Wie käme ich dazu,ein Mädchen aus gutem Haus von seinen Pflichten abzulenken, dessen Vater ich schätze und den ich sehr gut kannte, als er seinerzeit in Rom dem Kardinal d’Ossat diente.«
»In Rom, Monsieur, wo Ihr vor aller Augen und Ohren mit der Pasticciera gehurt habt! Die muß ein feiner Kuchen gewesen sein! Und Ihr habt Euch nicht einmal geschämt, ihn mit einem halbem Dutzend Fliegen zu teilen ...«
Dieser Satz verwunderte mich so sehr, daß ich nicht mehr zuhörte. Ich versuchte mir meinen Vater vorzustellen, wie er einen Kuchen aß, den ihm Fliegen streitig machten. Warum erschlug er sie nicht einfach, so wie ich es machte, mit der flachen Hand, anstatt mit ihnen »zu teilen«? Ein Rätsel, das ich im Kopf drehte und wendete, ohne eine Lösung zu finden. Dann vergaß ich es, doch entsann ich mich seiner mit einer merkwürdigen Klarheit, als ich zehn Jahre später jene Stelle in den Memoiren meines Vaters las, wo er seine Begegnung mit dieser Pasticciera in Rom schildert und die hohen römischen Herren beschreibt, mit denen gemeinsam er sie aushielt.
Meine Patin war besänftigt und gegangen, mein Vater trat in mein Kabinett, warf einen Blick auf meine Schlachtordnung und fragte, indem er ein Knie zu Boden setzte: »Monsieur, wie ist Eure Armee bewaffnet?«
»Säbel und Musketen.«
»Keine Lanzen?«
»Nein, Herr Vater.«
»Dann werft sie nicht frontal in die Spitzen der feindlichen Infanterie. Sonst spießt sie sich auf. Laßt sie eine volle Drehung machen, ihre Schüsse aus der Distanz feuern, die Waffen neu laden, und dann los an den Feind ...«
Hiermit küßte er meinen Generaloberst, dann rief er seinen Pagen und hieß ihn Greta und Mariette holen. Hechelnd kamen sie gelaufen.
»Wer von euch beiden«, sagte mein Vater, »hat Madame de Guise von Friederikes Kneiferei erzählt?«
»Das war ich«, sagte Mariette sofort.
»Und wer von euch hat ihr die Geschichte von dem geraubten Kuß erzählt?«
»Ich«, sagte Mariette.
»Dacht ich mir’s doch ... Mariette«, fuhr er fort, »Ihr habt eine lebhafte und redselige Zunge im Mund, die uns großeDienste tut, wenn Ihr auf den Markt geht. Aber wenn die genannte Dame uns hier besucht, dann haltet besagte Zunge hinter Euren Zähnen fest und die Lippen zugenäht darüber. Euch erspart Ihr Zugluft und Atem und mir Ärger.«
»Das will ich tun, Monsieur le Marquis«, sagte Mariette, und ich sah, daß sie zum Zeichen der Reue den Kopf senken wollte, was aber ihr starrer Busen nicht recht zuließ.
***
Meine liebe Patin war damals dem Porträt sehr ähnlich, das mein Vater in seinen Memoiren von ihr zeichnet: »Zierlich und wohlgerundet, frisch und ungestüm, die Augen lavendelblau und geradezu naiv in ihrer Offenheit, ein üppiger Mund und sehr schöne, kräftige blonde Haare, die ihr in künstlichen Löckchen über den molligen Nacken fielen.«
Dies zum Äußeren. Was nun ihr Wesen anging, so hatte Henri Quatre, dessen Cousine zweiten Grades sie durch ihre Mutter, Marguerite de Bourbon, war, zu meinem Vater (der es mir weitersagte) gesagt, sie sei ihm auf Grund ihrer »Naivität« und »Natürlichkeit« eine »liebreiche und angenehme« Gesellschaft.
Das war ein gutes Urteil, aber von der Höhe eines Thrones gefaßt, vor dem die hohen und schönen Damen mit ihren großzügigen Dekolletés das Knie beugten. Wäre der König nur ein Marquis wie mein Vater gewesen und, was mehr heißt, der »vertraute und unwandelbare Freund der Herzogin«, er hätte anders vom Stapel gelassen. Denn mochte meine Patin auch gütig sein und uns, meinen Vater und mich, über alles lieben, so fehlte doch viel, daß ihr Umgang immer angenehm und ihre Liebe leicht zu ertragen gewesen wären. Dazu war sie zu
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