Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman
»Monsieur« war ganz Konvention und hatte nichts mit ihrem Blick und ihrer Intonation zu tun –, »als ich einmal von Bassompierre hörte, er habe eine seiner Nichten dem Marquis de Siorac abgetreten – und ich wußte ja, wozu diese Dirnen einzig da sind –, fragte ich mich, ob sie wohl Ihrem Vater diene oder Ihnen. Offen gestanden, fragte ich mich dies vornehmlich, als mir die verbindlichen Gefühle klar wurden, die Sie für meine Person zu nähren begannen. Von da an war die Sache für mich von größter Konsequenz.«
Sie verstummte, als wäre sie fest entschlossen, nicht mehr zu verraten. Und da ich ihre Worte etwas dunkel fand, faßte ich mir ein Herz und sagte: »Madame, ich bin mir nicht sicher, daß ich Ihre Worte verstanden habe. Darf ich fragen, warum die Sache für Sie so wichtig war?«
Sie stand auf, womit sie mir zu verstehen gab, daß unsere Unterhaltung beendet war, aber gleichzeitig korrigierte sie, was diese Geste Abruptes haben mochte, indem sie mir freundlich zulächelte und ihre Hand einen Moment in der meinen ließ.
»Mein Freund«, sagte sie und gab diesem »Freund« eine zärtliche Betonung, »warten Sie nur ein wenig und fürchten Sie nicht, daß ich die Geduld mißbrauchen werde, die ich Ihnen anempfehle. Eines Tages sage ich Ihnen das ›weil‹, das auf Ihr ›warum‹ antworten wird. Noch ist der Zeitpunkt nicht gekommen. Noch muß ich überlegen, denn ich bin mir nicht sicher, in mir so klar zu sehen, wie ich in Ihnen zu sehen glaube.«
Hierauf erinnerte sie mich, daß ich am nächsten Montag wieder zur Deutschstunde kommen solle und daß ich dann, wie sie hoffe, mehr Aufmerksamkeit mitbringen würde als heute (den Satz begleitete sie mit einem Lächeln und indem sie mir mit dem Finger drohte), dann verließ sie mich. Als ich in meine Kutsche gestiegen war, saß ich ratlos; ich hatte keinen Grund, zerstört zu sein, aber erst recht keinen, zu triumphieren. Frau von Lichtenberg hatte genug gesagt, um mich zu versichern, daß sie für meine »verbindlichen Gefühle« nicht unempfindlich war, aber nicht genug, daß ich hätte verstehenkönnen, welche Skrupel sie zurückhielten, oder welche Verbindung sie zu Toinon herstellte.
Zwischen zwei Schlummern grübelte ich lange des Nachts, schwankend zwischen dem Kummer über den Verlust meiner Soubrette und der sehr ungewissen Hoffnung, welche die Worte Frau von Lichtenbergs in mir geweckt hatten. Auch träumte ich, daß ich Toinon Straße für Straße im finsteren Paris suchte und sie nicht fand, und ich erwachte in Tränen. Die Tränen versiegten, aber ihnen folgten noch trostlosere Gedanken. Ich hatte mit Toinon fünf Jahre Seite an Seite gelebt, ohne zu begreifen, wie glücklich sie mich gemacht hatte: und nun war dieses Glück doppelt verloren, da ich mir seiner gar nicht bewußt gewesen war, als es mein Leben erhellte.
***
Bassompierre hatte mich am Donnerstag vormittag vor unserem Hause abgesetzt. Als er am Sonnabend noch immer nicht bei Hofe erschienen war, fand sich mein Vater bereit, ihn in seinem Palais aufzusuchen, und nahm mich mit. Aber der Maggiordomo sagte uns, er habe Anweisung, niemanden vorzulassen, und nur auf Drängen meines Vaters, den Hausherrn von unserem Kommen zu unterrichten, empfing uns Bassompierre schließlich in einem sehr schönen, reich verzierten Hausrock, aber unrasiert und mit langgezogenem Gesicht.
»Ah, mein Freund!« sagte er, als wir uns umarmt hatten, »Ich hätte alles erduldet, alles erlitten, aber«, setzte er im Stil von Astrée hinzu, »dieses Achselzucken der Dame hat mich bis auf den Herzensgrund durchbohrt! Ich mußte die Würfelpartie unter einem Vorwand verlassen und mich schnellstens in mein Haus verkriechen, wo ich mich diese zwei Tage gequält habe wie ein Besessener, ohne zu essen, zu trinken und zu schlafen. Ihr seht das Ergebnis, ich bin völlig abgemagert.«
»Offen gestanden, man sieht es nicht«, sagte mein Vater lächelnd. »Und daß Ihr über Euren begrabenen Hoffnungen fastet, mag ja hingehen, aber trinken müßt Ihr! Trinkt wenigstens Wasser! Nicht zu trinken wäre für Eure Gesundheit verhängnisvoll.«
»Meint Ihr, Marquis?« sagte Bassompierre beunruhigt.
»Sicher, ich spreche als Arzt zu Euch. Und wenn Ihr mir erlaubt,als Freund zu sprechen, wäre es Zeit, daß man Euch wieder im Louvre sieht. Sonst glaubt der König, Ihr grollt, und könnte darauf verfallen, zurückzugrollen, obwohl er Euch derzeit so wohlgesonnen ist.«
»Ist er das wirklich?« fragte Bassompierre,
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