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Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman

Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman

Titel: Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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Schicklichkeit.«
    Und ich lachte, nicht ahnend, daß die meinen diese Grenzen sehr bald übersteigen sollten. Am Montag morgen brachte mir ein Laufbursche ein Wort meiner Gräfin, das meine Unterrichtsstunde wegen einer unvorhergesehenen Angelegenheit auf den folgenden Mittwoch verschob. Ich war dieser Angelegenheit sehr gram, faßte mich aber in Geduld, zumal das Billett, wenn auch kurz und in Eile geschrieben, von Zuneigung sprach. Nach dem Mittagessen legte ich mich schlafen oder versuchte vielmehr, auf mein Lager gestreckt, dem unablässigen Reigen meiner Gedanken ein Ende zu setzen, während mein Körper sich drehte und wendete und keinen Schlummer fand.
    Diese Siesta war die fünfte ohne Toinon. Ich hatte sie gezählt, wie ein Gefangener Tag um Tag an seiner Zellenwand anstreicht, und faßte den Entschluß, mir dieses stumpfsinnige Zählen zu verbieten, weil es hoffnungslos war.
    Nie mehr sah ich Toinon im Hause. Und als ich mich bei La Surie darüber beklagte, erfuhr ich, daß sie schon jeden Tag die Geschäfte von Meister Mérilhou ordnete, aber des Anstandes halber noch zu uns schlafen kam, weil ihre Hochzeit erst Ende des Monats stattfinden sollte.
    Daß ich sie nicht einmal mehr sehen durfte, verursachte mir zusätzliche Pein, doch von La Surie bekam ich als einzigen Trost nur ein périgourdinisches Sprichwort zu hören:
»Den Fuchs freut es immer, eine Henne zu sehen, auch wenn er sie nicht kriegt.«
Was half mir diese Bauernweisheit? Und ich sagte es ihm. »Ach, was denkt Ihr noch an Toinon?« entgegnete er. »Denkt lieber an Eure Deutschlehrerin!« Selbstverständlich dachte ich auch an sie, aber ich merkte doch sehr,welch ein Unterschied zwischen einer Erinnerung bestand, die der Körper an erlebte Zärtlichkeiten hegt, und einer Hoffnung, die sich von Blicken, Lächeln und ein paar liebreichen Worten nährt. Gewiß beschäftigte diese Hoffnung die Seele mehr, aber sie war längst nicht so wirklich.
    Doch war es mit dieser Mißstimmung und Melancholie noch nicht getan: am Mittwoch traf mich der Blitz. Während ich an jenem Morgen die Deutschlektion wiederholte, die ich in der vergangenen Woche so schlecht gelernt hatte, wurde ich durch einen Laufburschen unterbrochen, der mir nicht etwa ein kurzes Billett, sondern einen Brief von meiner Gräfin brachte. Hier ist er:
     
    Monsieur,
    Wenn Sie dieses Schreiben erhalten, bin ich schon seit mehreren Stunden auf der Reise nach Heidelberg; ich wurde infolge des bedenklichen Zustandes meines alten Vaters in die Pfalz gerufen. Gewiß kehre ich nach Paris zurück, eine Stadt, an die mich manches bindet, was Ihnen wohlbekannt ist, doch weiß ich leider nicht, wann. Man läßt mich für die Leiden meines Vaters einen unglücklichen Ausgang befürchten, und wenn diese Befürchtungen sich bewahrheiteten, stünde ich vor familiären Problemen, die mich so lange in der Pfalz festhalten würden, bis sie gelöst wären. Das könnte sehr lange dauern, viel zu lange für mein Gefühl, denn ich habe die Überzeugung gewonnen, daß ich doch nirgends glücklich sein könnte als in Paris. Ich bitte Sie, lernen Sie weiter Deutsch um der Schönheit der Sprache willen, aber auch aus Liebe zu mir, die ich oft an Sie denken werde in meinem gelahrten und sehr gestrengen Heidelberg.
    Ihre wohlgeneigte Dienerin
    Ulrike von Lichtenberg.
     
    Mein Vater trat ein und fand mich in Tränen.
    »Was ist denn? Was ist denn?« fragte er ganz erstaunt.
    Ich reichte ihm den Brief, er las ihn wieder und wieder, als wäge er jedes Wort.
    »Ich verstehe«, sagte er, »wie tief Euch diese lange Abwesenheit enttäuscht, just da Ihr gedachtet, das ersehnte Ufer glücklich zu erreichen. Aber es gibt hier Ausdrücke, mögen sie auch noch so vorsichtig sein, die Euch entzücken sollten. Siespricht von Paris als einer Stadt, an die sie ›manches bindet, was Euch wohlbekannt‹ sei, oder: sie habe ›die Überzeugung gewonnen, daß ich doch nirgends glücklich sein könnte als in Paris‹; oder auch, daß sie Euch bittet Deutsch zu lernen ›aus Liebe zu mir‹.«
    »Mein Vater, sind das nicht nur kleine Höflichkeiten, mit denen man seine Freunde entschädigt, wenn man sie verläßt?«
    »Das könnten sie aus der Feder unserer koketten Damen sein, die zumindest in Worten alle Welt anbeten. Aber nicht aus der Feder einer Ulrike, deren Worte ganz ihrem Gefühl entspringen.«
    »Wie leicht wäre es ihr gefallen, mich vor ihrer Abreise noch zu sehen. Sie muß doch am Montag, als sie die Stunde verschob,

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