Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman
schon gewußt haben, daß sie Paris verlassen wird.«
»Das ist nicht gesagt. Die Verschiebung am Montag kann einen ganz anderen Grund gehabt haben. Doch wie immer, stellt Euch nur einmal vor, was es heißt, eine so lange Reise mitten im Winter anzutreten: da muß an eine Eskorte gedacht werden, an die Poststationen, die Übernachtungen, die Versorgung. Eine schwere Aufgabe für eine Frau allein. Sie wird ihre ganze Kraft benötigt haben, um sie zu bewältigen, und durfte sich darin nicht erweichen lassen, indem sie Euch noch einmal sah.«
»Aber dieses Warten, Herr Vater! Dieses endlose Warten! Wenn man den Brief liest, meint man, es wird Monate dauern!«
»Monate wenigstens, falls es den befürchteten Ausgang nimmt, und danach ein Ringen um die Erbfolge, wie Ulrike durchblicken läßt.«
»Das hieße ein Jahr! Anderthalb Jahre vielleicht!« schrie ich auf. »Wie soll ich das aushalten?«
»Papperlapapp, mein Sohn! Ich mußte damals viel länger warten, bis ich meine Angelina heiraten durfte.«
Einige Zeit nach dem Brief Frau von Lichtenbergs lud mich die Herzogin von Guise zum Diner, und wie jedesmal schlief ich danach in der alten Kemenate, wie einst in der Ballnacht. An diesem Diner nahm auch der kleine Herzog ohne Nase teil und plapperte unaufhörlich, so daß die Herzogin zu keinem Worte kam vor diesem Sohn, den sie wenig liebte, der aber als Oberhaupt der Familie über ihr stand.
Außerdem war mit dem Herzog nicht gut Kirschen essen.Er konnte wegen nichts beleidigt sein. Der Grund dafür war, daß er sich seiner nie sicher fühlte. Die ganze Zeit sprach er zu seiner Frau Mutter, aber die Herzogin lieh ihm nur zerstreut Gehör, so daß er immer mich ansah, während er redete, weil er meine Aufmerksamkeit brauchte, um sich zu versichern, daß er gehört wurde. Der Leser wird diese unermüdlichen Schwätzer kennen, die ihr Gegenüber gewissermaßen zwingen, zuletzt nur noch aus einem Paar Ohren zu bestehen.
Man ging ziemlich spät zu Bette, und ich hätte wetten können, daß meine liebe Patin, nachdem sie sich bei diesem erzwungenen Schweigen sehr unglücklich gefühlt hatte, die Nacht mit ihren üblichen Schlaflosigkeiten zubringen würde. Und richtig, gegen ein Uhr morgens kam Noémie de Sobol im Nachtgewand und rüttelte mich auf meinem Lager in besagter Kemenate wach, anscheinend ziemlich unwillig, aber insgeheim jubilierend aus einem Grunde, der mir nicht entging. Da die Nacht kalt war, lud uns die Herzogin in ihr großes Bett, Noémie zu ihrer Linken und mich zu ihrer Rechten. Die Bettvorhänge standen offen, und beiderseits der Bettstatt brannten auf zwei Leuchtern duftende Wachslichte, ein äußerst kostspieliger Luxus, den aber die Herzogin liebte. Ich fand sie für eine Frau ihres Alters wunderschön, mit ihren blauen Augen, ihrem frischen Teint und etwas irgendwie Gelöstem in ihrem ganzen Wesen. Gewiß stimmte sie allerhand Klagen an, aber auf eine nahezu fröhliche Weise, da ihre angeborene und unerschöpfliche Kraft doch immer über ihre Sorgen obsiegte. Kaum hatten wir uns eingenistet, richtete sie sich in ihren Kissen auf, und die Litanei ihrer Kümmernisse begann, die sich, wie erwartet, um ihre törichten Söhne drehte.
»Mein Gott! Dieser kleine Herzog! Redet und redet! Und was hat er zu sagen? Viel Stroh und wenig Korn! Es kann einen umbringen. Und was für ein Riesennarr! Nicht soviel Grips, daß er aufhören würde, mit Bassompierre zu spielen, der ihm pro Jahr allemal seine hunderttausend Livres abgewinnt! Jesus! Und warum mußte er überhaupt so klein ausfallen, wo sein Vater so groß war«, fuhr sie mit komischer Miene fort, ganz vergessend, daß sie selbst klein war. »Von der Schönheit her hätte wirklich Joinville mein Ältester sein müssen! Aber was den Kopf angeht, da ist einer wie der andere. Joinville ist genau so ein Narr! Mehr vielleicht noch! Muß sichdieser Moret an den Busen werfen! Den größten Busen des Hofes, aber auch den gefährlichsten. Und das Theater, das Henri gemacht hat! Daß er sie ins Kloster steckte, na gut, aber mußte er auch noch eine Grenze zwischen sie und meinen armen Joinville setzen? Ist das angemessen? Hat Henri denn so viele Arien gemacht, als Bellegarde ihn mit der schönen Gabrielle gehörnt hat? Ach«, fuhr sie lebhaft fort: »welcher Große an diesem Hof hat nicht früher oder später die Hörner auf seiner Stirn sprießen gefühlt? Mein seliger Mann, der Herzog von Guise, war nach allgemeiner Ansicht der verführerischste Mann des
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