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Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman

Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman

Titel: Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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gegenüber mehr auf meinen Rang hätte achten sollen?«
    »Aber nein!« sagte er mit einem kleinen Lachen. »Wie solltet Ihr auf Euren Rang achten bei jemandem, den Ihr alle Tage, die Gott werden läßt, in Euren Armen haltet?«
    Dieser zum zweiten Male berufene Gott, dachte ich bei mir, scheint ja keiner der Enthaltsamkeit zu sein, aber ich hütete mich, es zu sagen.
    »Toinon«, fuhr er fort, »hing mehr an Euch, als Ihr dachtet. Ihr wart sehr nett zu ihr und habt ihr geduldig Lesen, Schreiben und Rechnen beigebracht. Sie war Euch dafür ungemein dankbar, ohne es jemals zu zeigen. Denn sie war so stolz wie nur je einer guten Mutter Tochter in Frankreich. Und jetzt wird sie ihren Mérilhou mit Sang und Klang beim Ärmel nehmen, wird ihm die Bücher führen und tüchtig mit ihm zu Wohlstand kommen. Heute ist eine Seite im Buch Eures Lebens umgeschlagen, mein Sohn.«
    Na gut, dann ist sie eben umgeschlagen, dachte ich, aber nicht ohne einen kleinen Stich im Herzen und mit einer jähen großen Leere in meinem Alltag vor Augen, die mich schon bei dem bloßen Gedanken daran erschreckte.
    Gleichwohl hüpfte meine Hoffnung, als ich am nächsten Tag um drei Uhr zu meiner Gräfin fuhr und in ihrem Hof aus der Mietkutsche sprang; von Toinons und meines Vaters Prophezeiungen über die Zukunft meiner Liebe gestärkt, nahm ich mir vor, ihr mit festerem Blick zu begegnen. Doch kaum daß sie in ihrem großen Salon auf mich zukam, sank mein Mut. Obwohl sie mich wirklich sehr liebenswürdig empfing, sah ich sie so majestätisch, so zurückhaltend und so selbstbeherrscht, daß sie mir plötzlich ebenso unerreichbar erschien wie immer. Während ich mit ihr in tadellosem Ton die gebräuchlichen Höflichkeiten wechselte, fragte ich mich, grausam entmutigt, ob ich es jemals wagen würde, eine so hohe Dame in die Arme zu nehmen, ihre Lippen zu küssen und mit entweihenden Händen ihren Reifrock anzutasten, der mich anmutete wie eine Rüstung, die unmöglich zu beseitigen war,während ich Toinon über tausendmal den kleinen Unterrock ausgezogen hatte, der meinen Fingern so brav gehorchte, daß er, kaum berührt, auch schon niederfiel.
    Frau von Lichtenberg fragte mich nach der Gesundheit des Königs. Ich antwortete ihr, ohne auf jene wohlbekannte Geschichte einzugehen, da ich nicht wußte, was Bassompierre ihr darüber sagen oder nicht sagen würde. Und nach einer Weile führte sie mich vom Salon in ihr Zimmer, wo sie, ohne meinen ein wenig zu warmherzigen Entschuldigungsbrief überhaupt zu erwähnen, mit meiner Deutschlektion begann.
    Sie muß mich an dem Tag als sehr schlechten und sehr zerstreuten Schüler erlebt haben, denn ich machte eine Menge Fehler, die sie mit ihrer üblichen Sanftmut korrigierte. Als jedoch die Stunde zu Ende, der Imbiß von dem Diener gebracht und der Riegel hinter ihm vorgelegt war, fragte sie, indem sie meine erste Waffel bestrich: »Mein Freund, Sie sind heute nicht ganz bei sich. Was haben Sie?«
    Sie stellte mir diese Frage mit so sanfter Stimme und begleitete sie mit einem so zärtlichen Blick, daß meine Zurückhaltung im Nu zusammenbrach, ich meinem Herzen Luft machte und ihr alles erzählte, sowohl welche Rolle Toinon in meinem Leben gespielt hatte, wie auch, daß sie plötzlich fortging, doch verschwieg ich, daß sie der Anlaß dazu war.
    Sie hatte meine Waffel längst fertig bestrichen, und ihre Hände ruhten in ihrem Schoß, ihre schönen schwarzen Augen blickten mich an, während sie mir mit aller Aufmerksamkeit lauschte. Und obwohl meine Erzählung ziemlich traurig war, entging mir nicht, daß sie sie mit Genugtuung, ich würde sogar sagen, mit einer Art Erleichterung hörte, so als hätte mein Bericht ein großes Gewicht von ihr genommen. Natürlich war ich durch diese ihre Reaktion getroffen, die, hätte ich sie gleich verstanden, mir den Schlüssel zu dem gegeben hätte, was folgen sollte.
    Als ich endete, reichte sie mir das Tellerchen mit meiner Waffel und begann zu essen, ohne einen Ton von sich zu geben und ohne mir einen Blick zuzuwenden, so war sie in ihre Gedanken vertieft. Trotzdem, obwohl sie lange so stumm blieb, fühlte ich mich dadurch nicht verlegen, im Gegenteil, irgendwie empfand ich, daß ihr Schweigen und ihre Versunkenheit mit mir zu tun hatten. Außerdem hatte meine Beichte mir sowohlgetan, als wäre ich bis dahin zwischen Toinon und der Gräfin geteilt gewesen und hätte nun meine Ganzheit wiedergefunden.
    »Monsieur«, sagte Frau von Lichtenberg schließlich – aber dieses

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