Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman
weshalb sagen Sie nicht endlich klipp und klar, wie Condé sich entschied?«
»Weil die Affäre verwickelter ist, als sie scheint. Der Streit zwischen dem König und Condé wegen Charlotte sieht ganz nach kleiner Historie aus, und doch verquickte sich diese höfische Intrige durch die sonderbarste Fügung unlöslich mit einer diplomatischen Krise, und die Lösung dieser Krise – eine der schwersten in diesem Jahrhundert – hieß immerhin Krieg oder Frieden für Millionen Menschen. Madame, haben Sie einmal von Kleve gehört?«
»Der Name ist mir vertraut.«
»Kleve ist eine Stadt am Rhein, nahe Holland. Sie hat ihren Namen einem Herzogtum gegeben, über welches derzeit ein liebenswerter deutscher Fürst herrschte, Johann Wilhelm der Gute.«
»Das fängt ja wie ein Märchen an.«
»Aber keine deutsche Fee wachte über die Geschicke dieses deutschen Fürsten. So gut er auch sein mochte, Johann Wilhelm konnte seinen höchsten Wunsch nicht verwirklichen: seine Erbfolge zu sichern. Er starb kinderlos am 31. März 1609; das war neunundzwanzig Tage nach der Verlobung des Prinzen von Condé und Charlottes de Montmorency in der Großen Galerie des Louvre.«
»Hängen die beiden Ereignisse denn zusammen?«
»Noch nicht, aber das werden sie bald. Genauer gesagt, die Folgen des einen werden sich mit den Konsequenzen des anderen verknüpfen, und das Ganze wird unendlich gefährlich werden für den Frieden in Europa.«
»Ihrem ernsten Ton merke ich an, daß wir auf Kleve noch zurückkommen. Kleve, ein hübscher Name! Mir ist, als hätte ich von einer Prinzessin von Clèves gehört ...«
»Oh, Madame, Prinzessinnen von Clèves gab es im Lauf der Jahrhunderte mehrere! Und in eine davon war Heinrich III. in jungen Jahren verliebt, was beweist, daß er damals noch nicht so schwul war, wie er dann wurde. Doch zurück zu Kleve in dem Moment, als Johann Wilhelm der Gute kinderlos starb. Ganz Europa hatte seit langem darauf gewartet, und der liebenswerte Fürst war noch warm auf seinem Totenbett, als die Anwärter, zahlreich wie Fliegen auf einem Stück Zucker, sich schon um die Nachfolge schlugen. Doch nur drei kamen ernstlich in Frage: der Kurfürst von Brandenburg, der Kurfürst von Neuburg und der Kurfürst von Sachsen. Die beiden ersten waren Lutheraner, Freunde und Verbündete von Henri Quatre, der ihre Ansprüche nur unterstützen konnte. Der dritte war ein Freund und Verbündeter des Hauses Österreich.«
»Wenn ich Sie recht verstehe, standen zwei große Königreiche dicht davor, sich um eines kleinen Herzogtums willen an die Gurgel zu gehen?«
»Klein, aber strategisch bedeutsam, denn es lag dicht an Holland, einem weiteren protestantischen Verbündeten von Henri, den das Haus Österreich lange und hart bekämpft hatte. Deshalb hatte König Henri vor langem erklärt, er würde nicht dulden, daß ein mit Österreich verbündeter Fürst sich in Kleve festsetze. Ebensowenig wollte selbstverständlich Österreich zulassen, daß ein mit Frankreich verbündeter Fürst Besitz von Kleve ergriff.«
»Das hieß also Krieg!«
»Noch nicht. Sagen wir, noch sind die Gesandten beider Lager im Gange, zu knurren und die Zähne zu blecken wie zwei Hunde, die einander einschüchtern wollen, bevor sie sich an die Kehle springen. Aber tatsächlich steht das Pulverfaß schon sehr nahe bei der Lunte.«
»Und diese Lunte sollte Condé sein?«
»Noch nicht, Madame! Kleve, das Haus Österreich, die spanischen Intrigen sind seinem Denken noch fern, sehr fern. Noch versucht der mickrige kleine Prinz, dessen bizarre Nase zwar an einen Adlerschnabel, aber bei weitem nicht an die lange und gebogene Bourbonennase erinnert, seine Ehre alsPrinz von Geblüt zu verteidigen, gerade weil sein Rang so zweifelhaft ist. Aber der tagtägliche Druck, den Henri abwechselnd durch Drohungen und Versprechen, in wütenden Szenen und auch dadurch auf ihn ausübt, daß er ihm alle Gelder streicht, ist so tyrannisch, daß er aufgibt. Er heiratet Mademoiselle de Montmorency am 17. Mai zu Chantilly.«
»Damit hat er also kapituliert?«
»Nein, Madame. Er setzt den Kampf auf andere Weise fort. Und in einem Sinne ist seine Position die stärkere, jetzt, da er Charlotte geheiratet hat.«
***
Der Hof war im Mai nach Fontainebleau gezogen, um der stickigen Pariser Luft zu entrinnen, aber der König kam an einem Dienstag Mitte des Monats in den Louvre, angeblich um eine dringende Affäre hinsichtlich der Nachfolge von Kleve zu regeln.
Am Tag darauf rief er mich um
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