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Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman

Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman

Titel: Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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acht Uhr morgens – Sie haben richtig gelesen, um acht Uhr – durch eines seiner kurzen, herzlichen, herrischen Billette zu sich. Ich begab mich also, kaum aus dem Schlaf erwacht, zum Louvre, und Vitry, der mich offensichtlich am Eingang erwartet hatte, führte mich auf den bekannten Wegen zu einem kleinen Kabinett, wo er mich mit der Bitte, mich über sein Benehmen nicht aufzuregen, doppelt einschloß. Dort fror ich denn eine gute Stunde und begann mich schon zu fragen, ob man mich von hier etwa in die Bastille schicken wolle wegen eines Verbrechens, von dem ich nichts wußte, als der Schlüssel sich im Schloß drehte, der König eintrat und die Tür hinter sich verriegelte.
    »Kleiner Cousin«, sagte er lebhaft, »diesmal handelt es sich nicht darum, nach meinem Diktat in einer fremden Sprache an einen befreundeten Fürsten zu schreiben, sondern um einen Brief auf französisch an eine Dame, die in Paris wohnt. Da die Sache von größter Konsequenz nicht nur für mich, sondern auch für sie ist, wüßte ich dir Dank, wenn du ihr das Schreiben persönlich überbrächtest, nicht der besagten Dame natürlich, sondern ihrer Zofe, was unter Umständen gefährlich werden könnte. Aber wenn du, wie ich glaube, die Tapferkeit und das Geschick deines Vaters hast, bist du vom Alter her für diesen Auftrag wie geschaffen. Niemand wird sich wundern, wennein junger Bursche deiner Statur eine Zofe anspricht und ihr schöne Worte macht.«
    »Sire!« sagte ich, ganz begeistert über diese Aufgabe, die mich aus der Trübsal meiner Tage erlöste, »gefährlich oder nicht, ich werde Eurer Majestät mit Freuden dienen. Aber wenn Ihr erlaubt, würde ich über diese Mission gerne mit meinem Vater sprechen, um seinen Rat einzuholen.«
    »Gewiß, das kannst du. Alsdann, kleiner Cousin, da ist das Schreibpult, nimm die Feder.«
    Der König hatte mir diesmal keine Geheimhaltung abverlangt wie für seine Staatskorrespondenz, und so fühle ich mich auch freier, über diesen Brief zu sprechen, allerdings in den Grenzen der Diskretion, die sein Gedenken erheischt. Im Unterschied zu seinen üblichen Sendschreiben, die durch ihre Knappheit und ihre zupackende Schärfe glänzten, war dieser Brief sehr lang und sehr literarisch; er begann mit »Meine Dulcinea« – ein Beweis, daß Henri den
Don Quijote
von Cervantes gelesen hatte –, und war von Anfang bis Ende in dem moralischen, sentimentalen, verschämten und hochtrabenden Stil von
Astrée
gefaßt, wo die handfesten Dinge der Liebe bekanntlich mit Schweigen übergangen werden zugunsten der Herzensergüsse. Henri diktierte, indem er federnd wie ein junger Mann auf und ab schritt, das Gesicht leuchtend und die Stimme bewegt, so daß ich bei mir dachte: wie schade, daß diese ernsthafte Leidenschaft sich nicht stärker in seiner eigenen Sprache ausdrückte.
    Dieser Brief antwortete zweifellos auf einen, den er bereits erhalten hatte und in welchem ihn die Dame einer ebenso unbändigen Liebe versichert und Henri den »Stern, den ich anbete« genannt hatte, ein Ausdruck, den er in dem Brief, den ich nun unter seinem Diktat schrieb, zitierte, um ihr zu sagen, mit wieviel Beglückung und Dankbarkeit er ihn erfüllt habe.
    Henri schloß seinen Brief mit dem glühenden Wunsch, die Dame möge kommen und »den Ort verzaubern, wo er weile«, was überdies in Versen ausgedrückt war, die ich mir zu zitieren erlaube, man wird noch sehen, warum:
    Mit ihrer Schönheit kommen alle Schönheiten,
    Die Wüsten werden Gärten von einem Ende zum andern,
    So wirkt die höchste Macht der Grazien,
    Die ihr folgen, überall.
    »Was hältst du von diesen Versen, kleiner Cousin?« fragte der König mit zufriedener Miene, indem er sein Diktat unterbrach.
    »Ich finde sie sehr schön, Sire.«
    »Sie sind von Malherbe, ich habe sie bei ihm bestellt. Das Genie dazu habe ich leider nicht.«
    Und er diktierte mir das ganze Gedicht, das er auswendig kannte und mit bebender Stimme sprach.
    »Unterzeichnet Ihr, Sire?« fragte ich, als er endete.
    »Ah, mitnichten. Meine Unterschrift darf nicht erscheinen. Du zeichnest
›Per‹ .«
    Während ich den Brief faltete und das Wachs auftropfte, wanderte er wieder durch den Raum. Weil es auf dem Pult kein Siegel gab und Henri mir auch keine Adresse diktierte, schloß ich, daß dieses Schreiben anonym bleiben sollte.
    »Dieser Brief«, sagte Henri wieder in seinem normalen, hurtigen Ton, »wird morgen nach der Vesper in der Kirche Saint-André-des-Arts einer Zofe mit Namen Philippote

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