Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman
den Fußboden legte und mir half, meine Soldaten in Schlachtordnung aufzustellen. Nun war ich, Gott sei Dank, kein dummer Junge mehr, den man mit seiner kleinen Armbrust zum Spielen in den Garten schickte, sondern ein duldsamer Erwachsener, der sich einem Kinderspiel bequemte.
Mein Hauptmann führte mich bei Trommelklang auf einen Schießplatz, wo ein Häuschen stand, das eine strohgeflochtene Schießscheibe und mehrere Bogen vor Wind und Regen schützte. Der kleinste dieser Bogen gehörte offensichtlich ihm. Er legte seine Trommel ab, nahm ihn zur Hand, dazu einen Köcher, und bewies mir eine Geschicklichkeit, die mich staunen machte. Denn auf fünfzehn Fuß Abstand schoß er sechs Pfeile mitten ins Schwarze. Ich war mit meiner Armbrust weniger glücklich, denn wenn ich aus dreißig Fuß Abstand auch die drei Bolzen, die ich mitgebracht hatte, in die Scheibe brachte, so steckten sie doch durchaus nicht schön in der Mitte. Ich machte nicht weiter, denn ich sah wohl, daß mein Gefährte vor Begier brannte, seinerseits mit meiner Waffe zu schießen. Zu meiner großen Überraschung weigerte er sich hartnäckig, daß ich ihm half, die Kurbel zu drehen, durch welche die Sehne gespannt wurde. Er wiederholte es zweimal mit zusammengebissenen Zähnen, und das Blut stieg ihm vor Anstrengung ins Gesicht.
Er schoß aus dem gleichen Abstand wie ich, da er sehr schnell begriffen hatte, daß man, wenn die Sehne durch die Mechanik gut gespannt war, nur noch zielen und auf den Abzug drücken mußte wie bei einer Feuerwaffe, jedoch mit dem Vorteil, daß man sie nicht zu schultern brauchte, weil die Waffe keinen Rückstoß hatte, sondern sie an die Wange legte, um das Ziel anzupeilen.
Gleich bei seinem ersten Schuß war sein Ergebnis besser als meins, wahrscheinlich wegen seiner großen Übung mit dem Bogen, aber vielleicht auch, weil die kleine Armbrust besserfür seine als für meine Größe geeignet war. Wir schossen abwechselnd eine ganze Zeitlang. Er machte große Fortschritte, ich dagegen machte ziemlich kleine. Und ich begann mich sogar zu fragen, ob der Kauf dieser Waffe besonders klug gewesen war.
Während wir so beschäftigt waren, vergaß der Junge so ziemlich, daß er mein Hauptmann war, und bezeugte mir eine Art Zuneigung, wobei er jedoch immer einen gewissen Abstand zwischen uns wahrte, als könne er nicht ganz aufhören, mir zu befehlen. Was mich anging, war ich seit je von Erwachsenen umgeben gewesen, da ich keine Schule besuchte und zu meinen Geschwistern kaum eine Beziehung hatte, so daß ich nicht umhin konnte, an seiner Gesellschaft Vergnügen zu finden. Ja, er rührte mich ganz und gar. Ich sah mich wieder in seinem Alter, obschon ich damals viel weniger geschickt war als er, dafür aber mit der Zunge, wie mein Vater gesagt hätte, unendlich »geläufiger und flinker«.
Nach einer kurzweiligen Stunde schaute er auf die Uhr, die er an einem Halsband trug – ein Luxus, der mich bei dem Sohn eines Hauptmanns verwunderte –, und sagte, er müsse jetzt heimgehen und sage mir »goschen Dank«. Hiermit trat er auf mich zu, seine schönen schwarzen Augen fest in den meinen, er umschlang mich mit seinen Armen, stellte sich auf die Zehenspitzen und küßte mich auf beide Wangen. Dann errötete er, wie verlegen darüber, was er getan hatte, kehrte mir den Rücken, räumte gesetzt seinen Bogen ein und nahm seine Trommel. In dem Moment, da ich von seiner stürmischen Zuneigung überwältigt und um so mehr davon bewegt war, als er bis dahin so zurückhaltend gewesen war, gehorchte auch ich einer jähen Eingebung.
»Monsieur«, sagte ich, »möge es Euch gefallen, in Erinnerung an diesen Nachmittag diese Armbrust von mir entgegenzunehmen. Sie ist für Euch besser geeignet als für mich, und Ihr schießt sehr viel besser.«
Er errötete wieder, aber diesmal vor Freude, dann erlosch plötzlich die Freude in seinen Augen, und er sagte stotternd, er könne sie unmöglich annehmen, da er mir ja nicht seine Trommel dafür geben könne, die ein »Geschenk von Papa« sei.
»Ich verstehe gut«, sagte ich, »daß Monsieur de Mansan darüber nicht froh wäre ...«
Hier nun sah ich ein Staunen in seinen Augen, und er öffnete den Mund, als wollte er etwas sagen. Aber er ließ es sein. Er sprach wirklich nicht gerne, denn seine Störungen machten ihm die Sache nicht einfach.
»Und was mich betrifft«, fuhr ich fort, »was sollte ich mit einer Trommel? Ich kann nicht darauf spielen, und ich habe niemand in meiner Familie, der es
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