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Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman

Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman

Titel: Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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Glaube uns verbietet, an Feen zu glauben.«
    »Dafür«, sagte der Chevalier, »glauben wir an Engel, böse Geister, Hexen und Teufel.«
    »Aber der goldene Ring, der vergoldete Löffel und der Silberbecher?« fragte ich.
    »Vielleicht«, sagte der Chevalier, »war die Dame so durchtrieben, daß sie sich für eine Fee ausgab, und der Graf so einfältig, daß er es glaubte.«
    »Oder«, sagte mein Vater, »der Graf hatte soviel Phantasie, seine Leidenschaft für die Jagd auf dem Anstand damit zu erklären.«
    Ich hatte genug gehört. Ich blieb stumm. Nichts auf der Welt konnte mich mehr betrüben als solche Antworten. Wie vieles hätte ich noch weiter glauben mögen! Daß die Dame eine Fee war, das kokette Marzipanfräulein aufrichtig und daß Toinon durch eine Art Wunder in mein Leben getreten war. Das ist es also, sagte ich mir, was man nun Großwerden nennt? Hinterm Anschein erkennen, was wahr ist, die Fäden hinter den Marionetten sehen?
    ***
    Mein Vater war dem Doktor Héroard (dessen Namen er: Hérouard aussprach) aus dem Grunde besonders zugetan, weil er an der Schule von Montpellier sein Kommilitone gewesen war und nachher ebenfalls unter Heinrich III. als Arzt gedient hatte. Auch daß Héroard Hugenotte war, trug zu der Sympathie bei, die er für ihn hegte, denn mein Vater war nicht ohne einiges Herzdrücken zur katholischen Kirche übergetreten – »hatte sich bekehrt«, wie man sagte. Aber er hatte sich einfach dreinschicken müssen, weil Heinrich III., der seine Gewandtheit schätzte, ihm Missionen anvertraute, die er nicht hätte erfüllen können, ohne Katholik zu sein.
    Als ich meinen Vater besser kennenlernte, entging mir nicht, daß seine Anhänglichkeit an die reformierte Kirche eher sentimentaler als reliöser Natur war. Ihm war es genug, daß einer Christ war. Streitereien um Dogmen und Riten scherten ihn nicht. Wie der Chevalier, der gleichzeitig mit ihm – und um ihm zu dienen – »die Segel gestrichen« hatte, beschränkte er seine Religionsübungen auf ein Minimum: er besuchte die Sonntagsmesse, hielt freitags Fasten und ging an Ostern zum Abendmahl. Mehr verlangte er auch von mir nicht und machte sich in meiner Gegenwart über das »ewige Getue und denAberglauben« meiner Ammen lustig. Und als er eines Abends in meine Kammer trat und mich vor meinem Bett knien sah, sagte er: »Mein Sohn, habt Ihr nicht heute morgen gebetet?« – »Doch, Herr Vater.« – »Das reicht. Fangt mir ja nicht an, von morgens bis abends auf den Knien zu liegen wie diese Mucker und Heuchler, die, wenn es drauf ankommt, die grausamsten Menschen der Welt sind. Mein Sohn, laßt Eure Zunge in Ruhe: betet durch Eure Taten.«
    Nach Auskunft meines Vaters war Héroard der Leibarzt des Dauphin Louis und der übrigen Kinder des Königs, die allesamt im Schloß Saint-Germain-en-Laye aufwuchsen. Dieses »allesamt« mag sich heute nichtig anhören, das war es damals aber bei weitem nicht, vornehmlich nicht für die Königin. Denn zu den drei Söhnen und den drei Töchtern, die Henri Quatre von ihr hatte, hatte Seine Majestät ohne weiteres die acht Kinder gesellt, die ihm seine Mätressen geboren hatten; manch eine der Damen war sogar in derselben Woche niedergekommen wie die Königin, und beide Säuglinge gelangten fast gleichzeitig nach Saint-Germain-en-Laye, um in guter Luft aufzuwachsen, weil die im Louvre und in Paris nicht die allergesündeste war.
    Als ich mich eines Tages darüber verwunderte, daß die legitimen und illegimtimen Kinder derweise gleich behandelt wurden, entgegnete mein Vater, daran sei nichts Ungewöhnliches, da ein französischer Edelmann sein eigen Blut achte.
    »Euer Großvater, der Baron von Mespech«, fuhr er fort, »hat es nicht anders gemacht. Euer Onkel Samson de Siorac, der mit einer Woche Abstand von mir geboren wurde, wuchs zugleich mit mir in Schloß Mespech auf, weil seine Mutter bald nach seiner Geburt an der Pest gestorben war.«
    »Und ging das gut?«
    »Meine Mutter und mein Bruder François haßten Samson, aber ich habe ihn geliebt und liebe ihn bis heute.«
    »Und wie nimmt der Dauphin Louis die Sache?«
    »Nicht allzugut, wie ich hörte.«
    In der Karosse, die uns vom Schiff zum Schloß brachte, schlief ich ein, es war meine Mittagszeit, und ich hatte, vielleicht infolge der schweren Hitze, einen Traum, aus dem ich ganz niedergeschlagen erwachte: Ich ging in einem schönen Wald, meine Armbrust in der Hand, auf den Anstand, Vögel zujagen, da begegnete ich einer wunderbar schönen

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