Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman
in dem Bassompierres), »da Ihr mich gleich fragen werdet, was ein Interdikt ist, will ich es Euch sagen: Der Papst verhängte über die gesamte Republik Venedig den kleinen Bann, das heißt, es war den weltlichen wie den Ordensgeistlichen verboten, die Messe zu lesen und die Sakramente zu erteilen. Nun, mein Kleiner, was meint Ihr dazu?«
Ich sah zu meinem Vater hin, der mich durch einen Blick ermutigte, meine Ansicht zu äußern.
»Ich meine, es ist überspannt, wegen einer so kleinen Sache ein ganzes Volk seiner Religionsübungen zu berauben.«
»Ausgezeichnet! Ganz ausgezeichnet!« rief Fogacer und hob seine Spinnenarme gen Himmel. »Junger Eliakim, die Weisheit spricht aus deinem Mund! Wie du dir denken kannst, fand sich Venedig nicht damit ab. Der Doge gebot laut und deutlich, die Geistlichen sollten nach wie vor die Messe lesen und die Sakramente erteilen, und als die Jesuiten sich geschlossen der Anordnung verweigerten, wies der Doge sie aus. Furore im Vatikan!
Un cieco furore!
1 Der Papst rüstet unverzüglich ein Heer. Venedig ebenfalls. Aufruhr und Angst in der ganzen Christenheit!«
»Und das alles wegen zweier Verbrecher!« sagte ich. »Was kam es letztlich darauf an, von wem sie verurteilt würden!«
»Wahrlich, Ihr seid der gesunde Menschenverstand selbst!« sagte Fogacer, indem er mit seiner langen Hand durch seine langen, schlohweißen Haare fuhr. »Nicht allein Eliakim sehe ich hier, der mit prächtigen Zähnen in sein Fleisch beißt: es ist David, der nach Recht und Gerechtigkeit urteilt!«
»Was hatten die beiden Priester verbrochen?« fragte der Chevalier.
»Der eine hatte einen Mann ermordet, was, wie man zugeben muß, wenig christlich ist, der andere«, fügte Fogacermit angewiderter Miene hinzu, »hatte versucht, seine Nichte zu verführen.
Trahit sua quemque voluptas.
1 «
»Und was war das Ergebnis?« fragte mein Vater.
»Das Schiedsamt unseres Henri, endlose Verhandlungen, und zum Schluß ein Kompromiß: Venedig ruft die Jesuiten nicht zurück, überstellt aber die beiden Verbrecher dem Papst.«
»Und was tat das päpstliche Tribunal?« fragte La Surie.
»Was das Tribunal von Venedig auch getan hätte. Es verurteilte sie und ließ sie hängen.«
»Kein großer Gewinn für die armen Teufel!« sagte mein Vater.
»Aber ein großer für den Kardinal de Joyeuse und den Kardinal Du Perron, die einen ganzen Winter, dieser in Venedig, jener in Rom, zubringen konnten. Und für mich, da ich mir aus Venedig diese reizende kleine Erinnerung mitbrachte.« Und Fogacer wies auf seinen Meßdiener.
»Trahit sua quemque voluptas«,
murmelte der Chevalier.
So leise er sprach, ich hörte es doch und verstand es noch besser, denn Fogacers Aufmerksamkeiten berührten mich nicht eben angenehm.
»Und ist der König mit dem Ausgang zufrieden?« fragte mein Vater.
»Mittelmäßig. Er weiß, daß er in Venedig jetzt wenig und vom Papst gar nicht geliebt wird, denn die Zugeständnisse mußten beiden Parteien entrissen werden.«
»Und was hält er von der Predigt des Paters Cotton?«
»Ich weiß nicht, aber der halsstarrige Sully sagte beim Verlassen der Messe, das sei Geschwätz. Und Madame wahrte das verdrießlichste Schweigen.«
»Man muß aber auch zugeben«, sagte der Chevalier, »für einen Mann von Geist hat es Pater Cotton seltsam ungeschickt angefangen. Vom Ablaßhandel zu sprechen: der ist für Kalvinisten doch ein rotes Tuch.«
»Oder für bekehrte Hugenotten«, sagte Fogacer mit hinterhältigem Lächeln.
»Aber ist es denn nicht ein erwiesener Mißbrauch«, sagte mein Vater, »den Leuten einzureden, sie könnten sich durch zehnmal wiederholte Gebete oder durch Geld, das sie einemPriester geben, ein paar Jahre ihrer Buße im Fegefeuer ersparen, bevor sie ins Paradies eingingen?«
»Ein Mißbrauch«, sagte feurig der Chevalier, »zeugt eben immer den nächsten. Der erste war nun einmal bereits diese verdammenswerte Erfindung des Fegefeuers auf dem Tridentischen Konzil, um die ewigen Höllenqualen durch zeitweilige Qualen zu mildern.«
»Meine Herren, meine Herren!« rief Fogacer, indem er seine langen Hände hob, als wehre er sich gegen den Teufel, »ich rieche hier Faßgestank! Verderbt Euer ausgezeichnetes Mahl nicht durch verbotene Reden!«
»Was heißt das?« fragte mein Vater, indem er die Brauen hob. »Fogacer, wo ist Euer Skeptizismus hin?«
»Er ist Vergangenheit«, sagte Fogacer mit frommer Miene. »Meine Soutane ist mir mehr und mehr zur zweiten Haut geworden. So sehr, daß
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