Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman
hörte man es mehrfach an unserer Toreinfahrt klopfen. Franz ging nachsehen und öffnete sogleich. Es war Madame de Guise, die sich nicht, wie sonst immer, durch ein kleines Wort angekündigt hatte. Ich sah sie vom Saalfenster eiligst aussteigen, kaum daß die Mietkutsche in unserem Hof hielt, und sich wie wütend die Maske abreißen. Ihr Gesicht schien zornesbleich, und mit so großen Schritten, wie es ihre kleinen Füße erlaubten, kam sie in unser Haus gerauscht, ohne mit einem Zeichen, einem Lächeln, wie es ihre Gewohnheit war, auf die Grüße unserer Leute zu antworten. Sie trat nicht ein: sie
brach
ein in unseren Saal.
»Monsieur«, sagte sie, indem sie meinen Vater mit funkelnden Augen fixierte, »Ihr seid ein Verräter! Ich habe einen fürchterlichen Zorn auf Euch.«
»Schöner Auftritt!« sagte mein Vater.
Der Chevalier verschwand mit bewundernswerter Eile so rasch aus dem Raum, daß man bezweifeln konnte, ihn eine Sekunde zuvor überhaupt gesehen zu haben. Ich wollte eben seinem Beispiel folgen, als die Herzogin mich wütend zurückhielt.
»Bleibt da, Söhnchen, Ihr sollt aus meinem Munde erfahren, was für ein Unhold Euer Vater ist!«
Diese Worte mißfielen mir so sehr, daß ich Madame de Guise frei ins Gesicht blickte und ihr weder große Schonung noch große Ehrerbietung erwies.
»Madame«, sagte ich, »ich werde nur dann hierbleiben, wenn mein Vater es mir befiehlt.«
»Bleibt, mein Sohn«, sagte mein Vater ruhig.
Die ganze Zeit, die ich durch Fogacer verloren hatte, war ich bereits auf dem Sprung gewesen, und nun kam noch der Befehl meines Vaters, zu bleiben, der meine Schäferstunde mit Toinon abermals verkürzte. Trotz aller Liebe zu der Herzogin bereute ich in dem Moment heftig, daß ich nicht, bevor sie unseren Saal betrat, um Urlaub gebeten hatte.
»Bleibt da, mein Sohn«, wiederholte mein Vater. »Noch weiß ich den Grund nicht für die gewaltige Woge, die da neuerlich über uns hereinbricht, doch ich wette, es ist alles Schaum.«
»Was soll das heißen?« fragte die Herzogin, die dieses Bild durcheinanderbrachte.
»Daß es sich höchstwahrscheinlich um eine Nichtigkeit handelt.«
»Eine Nichtigkeit?« schrie Madame de Guise voller Wut, »eine Nichtigkeit? Ist es eine Nichtigkeit, wenn ich Euch sage, Ihr könnt mich künftighin aus der Zahl Eurer Freunde streichen, weil ich weder hier noch woanders, nicht in dieser und nicht in jener Welt Eurem Verrätergesicht mehr begegnen will?«
»In dem Fall, Madame«, sagte mein Vater mit einer Verneigung, »werdet Ihr mir erlauben, Euch unverzüglich zu Eurer Kutsche zu geleiten und Euch gute Heimkehr in Euer Hôtel de Grenelle zu wünschen.«
»Wie! Ihr wollt mich nicht einmal anhören?« schrie die Herzogin.
»Madame, wozu? Ich bin bereits verurteilt, da Ihr den Bruch verkündigt habt, ohne vorher den Klagegrund darzulegen.«
»Monsieur«, sagte die Herzogin, »Eure Sprache verstehe ich nicht. Glaubt ja nicht, Ihr macht mich durch Eure Spitzfindigkeiten irre. Ich habe Euch einen unerhörten Vorwurf zu machen, und bei allen zehntausend Teufeln der Hölle, ich mache ihn, ob es Euch gefällt oder nicht!«
»Madame«, sagte mein Vater, indem er sich aufs neue kühl verneigte, »lassen wir die zehntausend Teufel hübsch zur Hölle fahren und kommen wir nach dem heulenden Vorspiel zur Sache.«
Es war seltsam, wie die Herzogin doch ein wenig zauderte, ehe sie mit ihrem »unerhörten Vorwurf« herauskam.
»Monsieur«, sagte sie endlich, »ich hörte heute morgen unzweifelhaft, daß Ihr bei der Ermordung meines seligen Gemahls die Hand im Spiel hattet.«
»Ich hatte die Hand im Spiel bei der Ermordung des Herzogs von Guise?« sagte mein Vater, dessen Beherrschtheit der Verblüffung wich. »Und wie hätte ich dabei die Hand im Spiel gehabt, Madame? Könnt Ihr mir das sagen? War ich an dem Mordplan beteiligt? Oder war ich beteiligt an der Ausführung?«
»Das weiß ich nicht«, sagte die Herzogin, deren Sicherheit etwas ins Wanken geriet.
»Wie? Das wißt Ihr nicht? Es kann doch nur das eine oder das andere sein?«
»Das weiß ich nicht«, wiederholte die Herzogin.
»Nun gut, Madame, da Ihr es nicht wißt, werde ich es Euch sagen. Der Plan, dem Leben des Herzogs von Guise ein Ende zu setzen, wurde von König Heinrich III. gefaßt, weil er fürchtete, daß der Herzog, nachdem er sich zum Herrn von Paris gemacht und ihn, den König, aus seiner Hauptstadt vertrieben hatte, auch noch zum Äußersten schreiten und sich des Thrones bemächtigen
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