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Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman

Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman

Titel: Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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Ich würde lieber sagen, sie leuchteten, und dieses Leuchten war das des durchdringenden Geistes, der dahinter lag und der Henri erlaubte, so schnell und so gut Menschen und Situationen einzuschätzen. Aber dieses Leuchten war auch das seiner Güte, seiner Neigung zur Wohltätigkeit, seiner Gnade. Und obwohl seine Augen umkränzt waren von Krähenfüßen, die bis zu den Schläfen reichten, und umgeben von knittrigen Lidern in einem abgemagerten, gegerbten und faltigen Gesicht, fesselten sie mich gerade durch ihre Jugend, da sie zugleich von den Lichtern der Fröhlichkeit und den Flammen der Sinnlichkeit sprühten. Ja, hier muß man von Flammen sprechen, und Gott weiß, wie sie in ihm loderten, aber weit entfernt, ihn zu verzehren, halfen sie ihm zu leben. Ich schreibe dies in meinen reifen Jahren mit der – immer noch in mir lebendigen – bitteren Trauer um diese große Kraft, deren Laufbahn knappe drei Jahre später durch das dumpfe Messer eines Fanatikers gebrochen wurde.
    Mir zeigte sich Henri lebhaft, wie es seine Art war. Er sah mich mit großer Aufmerksamkeit an, wie Praslin es getan hatte, aber der Blick von Praslin zielte nur darauf, mich zu erkunden, wie ein Feldsoldat ein Gelände »erkundet«. Der Blick Henris wog mich. Und danach war sein Empfang ebenso rasch wie herzlich.
    »Chevalier«, sagte er mit seiner fröhlichen Gascognerstimme, »seid willkommen an meinem Hof. Euer Vater hat mir gut gedient, ebenso sehr in Geschäften innerhalb meinesReiches wie in Geschäften draußen. Ich rechne stark damit, daß Ihr das gleiche tut, schließlich kommt ja«, ergänzte er mit einem Lächeln, »eine Verpflichtung des Blutes hinzu.«
    Er wandte sich an die Königin.
    »Madame, der Chevalier de Siorac möchte sich Euch vorstellen.«
    Er gab mir die Hand, und da ich sie nahm, um sie zu küssen, schloß er sie um die meine, hob mich auf und, nachdem er mich zu seiner Rechten geleitet hatte, ließ er sie los. Ich wich also einige Schritte zurück, um der Königin meine Pflichten zu erweisen, und begann mit dem komplizierten Zeremoniell aus Verbeugungen und Kniefällen, das Madame de Guise mich gelehrt hatte; aber Ihre Gnädigste Majestät geruhte die ganze Zeit über nichts anderes anzusehen als das Diamantenarmband an ihrer linken Hand. Endlich kniete ich vor ihr und küßte den Saum ihres Gewandes, sie aber ließ meine Nase an den Stickereien ihres Kleides hängen, ohne mir die Hand zu reichen, was mir das Zeichen hätte sein sollen, mich zu erheben. Jedenfalls wurde Henri, da die Sekunden verstrichen, ungeduldig und sagte leise, aber in lebhaftem Ton zu ihr: »Ma dame , ich bitte Euch, meinen kleinen Cousin, den Chevalier de Siorac, gut zu empfangen.«
    Erst da nun streckte mir Ihre Gnädigste Majestät mit höchst unwilliger Miene zwei Finger hin, indem sie ebenso großen Widerwillen bekundete, als sollte sie einen Frosch berühren. Und als ich besagte zwei Finger küßte, ziemlich erstaunt, wie ungepflegt sie waren, murmelte sie zwischen den Zähnen eine französische Redensart, die sie ins Italienische übertrug:
»Un cugino della mano sinistra.«
1
    Dieser Satz war so beleidigend für mich wie für Madame de Guise, daß ich meinen Ohren nicht traute. Doch schluckte ich meine Entrüstung hinunter, ohne mir etwas anmerken zu lassen, und da ich wohl fühlte, daß ich sofort reagieren mußte, erhob ich mich nach dem Handkuß, machte ihr abermals die schönste Verbeugung und sagte mit tief respektvoller Miene:
»La mano sinistra, Signora, La servirà così bene come la mano destra.«
2
    »Ben trovato!«
1 sagte der König, indem er mich blitzenden Auges betrachtete.
    Als die Königin hörte, daß ich mich in ihrer Muttersprache ausdrückte, ließ sie sich herbei, ihre Augen auf ihren Diener herabzusenken, und sah mich zum erstenmal an wie ein menschliches Wesen. Ich freute mich dieser Beförderung und erwartete, sie werde nun anders zu mir sprechen. Nichts dergleichen geschah. Und deutlich erkannte ich damals an Maria von Medici jenes unglückliche Betragen, welches ihr im Lauf der Jahre soviel Verdruß zuziehen und sie stufenweise einem so elenden Lebensende entgegenführen sollte: wenn sie eine Haltung einmal eingenommen hatte – und sei es die übelstberatene –, war sie außerstande, diese zu ändern. Was immer auch geschah, sie beharrte. Man hätte meinen können, sie werde von einer verhängnisvollen Neigung fortgerissen und sei ohnmächtig, ihren eigenen Starrsinn zu bezwingen.
    Wohl sah ich, als sie

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