Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman
herzlich. Hierauf schien sie sich zu besinnen, daß Henri nicht nur ihr Verwandter, sondern ihr König war, und so kniete sie denn nieder, ergriff seine Hände und küßte sie. Er hob sie sogleich wieder auf und führte sie an seinem Arm zu ihrem Sessel, und nach einer großen, lachenden Verneigung stieg er rasch zu seiner Estrade hinauf. Er hatte keine langen Beine, aber er machte lange Schritte wie ein Gebirgsmensch. Man applaudierte abermals, und mir schien, daß man es nicht aus höfischer Gewohnheit tat, vielmehr weil die Gesellschaft angetan war von der Natürlichkeit und Freundlichkeit dieser kleinen Szene. Und ich sagte mir, daß Henri gar nicht so knauserig war, wie man behauptete, da er an den Geburtstag seiner Cousine gedacht hatte.
»Kommt«, sagte mein Vater, »laßt uns den Augenblick nicht versäumen. Man muß die Gelegenheit beim Schopf packen.«
Ich hielt mich sorglich in seinem Schlepptau, um nicht durch alle die Höflinge von ihm getrennt zu werden, die nach dem beendeten Tanz und nachdem der König wieder auf dem Thron saß, in alle Richtungen durch den Saal schweiften, um diesen oder jenen aufzusuchen, denn es schien der Ehrgeiz eines jeden zu sein, sich mit einem Maximum von Leuten in einem Minimum von Zeit zu treffen. Gleichwohl zogen einigePersönlichkeiten besonders viele Grüße und Aufmerksamkeiten auf sich, sei es durch ihre Schönheit oder ihren Geist (also vornehmlich Frauen), sei es durch ihren Rang, sei es auch nur um einer Stellung willen, die ihnen erlaubte, täglich dem König oder der Königin nahe zu sein, und die folglich vermuten ließ, sie könnten einen Deut Einfluß haben. So beobachtete ich zum Beispiel, daß Concino Concini trotz seiner wenig glanzvollen Stellung fast sofort von einer beachtlichen Menschentraube beider Geschlechter umringt war, in deren Mitte er mit erhobener Stirn, aufrechter Haltung und gerecktem Schnabel sich mit der größten Ungehemmtheit in einem italienisch verschnittenen Französisch erging.
Auf einer Ecke der königlichen Estrade, aber mit den Füßen auf dem Parkett, saß in lässiger Haltung, jedoch wachsamen Auges Monsieur de Praslin, Hauptmann der französischen Garden wie Vitry und späterhin, auch wie er, Marschall von Frankreich. Er hob die Hand, um meinen Vater anzuhalten, und blickte ihn wortlos mit fragender Miene an, um zu hören, was ihn herführe.
»Ich will«, sagte mein Vater, »auf Befehl Seiner Majestät meinen Sohn vorstellen, den Chevalier de Siorac.«
Einem Wachhund gleich, dem sein Herr erklärt, daß der Eindringling ein Freund ist, und der diesen nun sorgsam beschnuppert, um ihn bei Gelegenheit wiederzuerkennen, musterte mich Praslin, der den Geruchssinn nach menschlicher Weise durch das Sehen ersetzte, mit so scharfem Auge, als wolle er sich meine Züge ein für allemal ins Gedächtnis prägen. Währenddessen betrachtete ich ihn ebenfalls. Es war ein gedrungener, kräftiger Mann Mitte Vierzig, leicht ergraut, starke Kiefer, die Augen klein und durchdringend; meinem Vater zufolge ein treuer, tapferer Soldat, durchaus nicht dumm, aber knickrig, daß es kaum zu glauben war, selbst mit seinen Worten. Und in der Tat, nachdem er mich von Kopf bis Fuß gemustert hatte, nickte er zum Zeichen, daß wir passieren dürften, aber ohne die Zähne auseinanderzukriegen, ohne ein Lächeln sogar.
Auf der Estrade nun verließ mich mein Vater, um zunächst Seiner Majestät seine Reverenzen zu erweisen, dann trat er zu mir und sagte: »Auf, der Augenblick ist gekommen.«
Offen gestanden, ich zitterte reichlich. Ich konnte kaum vortreten,meine Beine waren aus Wolle und trugen mich so wenig, daß ich froh war, ins Knie zu gehen. Meine Ohren brausten, daß ich nur mit Mühe den Satz hörte, mit dem mein Vater mich vorstellte. Meine Sicht indessen blieb klar genug, daß ich Henri betrachten konnte. Ich weiß nicht, warum man Könige auf Münzen immer im Profil abbildet, vielleicht, weil sie so leichter zu gravieren sind. Man sollte sie aber von vorn zeigen, und wäre es nur, um klarzustellen, daß sie nicht schielen.
Gewiß, im Profil wirkte Henri majestätischer durch seine Bourbonennase, sein klar gezeichnetes Kinn und seine kraftvolle Schädelbildung. Aber von vorn sah man seine Augen, und man sah nur sie. Ich habe bereits versucht, sie in dem Moment zu beschreiben, als er das Hôtel de Grenelle betrat, aber meine Beschreibung befriedigt mich nicht recht. Ich weiß nicht, wer gesagt hat, sie seien »flammend und glanzerfüllt« gewesen.
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