Der Wind bringt den Tod
die Straße hinunter. »Und jetzt sieh zu, dass du Land gewinnst.«
»Wir haben nichts Falsches getan, Marko«, sagte Ute und ließ den Wagen an. »Wir haben ihm nur geholfen.«
»Erzähl das mal Hoogens«, blaffte Assmuth über das Motorenbrummen hinweg.
»Besser nicht«, murmelte Ute und fuhr an. »Besser nicht.«
90
Caro saß in ihrer blitzsauberen Wohnung am Küchentisch und blätterte in der aktuellen Ausgabe der ›Mopo‹. Es gab nichts mehr, was sie noch hätte putzen können. Sie dachte darüber nach, sich etwas zu essen zu machen – etwas richtig Aufwendiges, bei dem sie viele Pfannen und Töpfe und die ganze Anrichte einsaute –, nur um wieder sauber machen zu können.
Mit einigen Tagen Abstand zu ihrer Flucht aus Lothars Wohnung war sie zu einer traurigen Einschätzung gelangt: Ihre Beziehung würde sich nicht mehr einrenken. Er war krank, und das hatte er richtig lange richtig gut vor ihr versteckt. Was sagte es über sie aus, dass ihr nie etwas an ihm aufgefallen war? Jule hatte recht. Sie war naiv. Sie sah an Leuten immer nur die guten Seiten, nie die schlechten. Das würde sich jetzt ändern.
Sie würde von jetzt an auch auf die schlechten Seiten anderer Menschen achten. Und eine von Jules schlechten Seiten war ihre Gehässigkeit. Caro machte sich keine Illusionen darüber, welche Triumphgefühle sie ihrer Freundin damit verschaffen würde, wenn sie ihr gestand, dass ihre mehr oder minder geheime Beziehung mit Lothar in die Binsen gegangen war. Jule war eine furchtbar schlechte Gewinnerin – sie würde sich vor lauter Lachen gar nicht mehr einkriegen. Und »Das hätte ich dir gleich sagen können« würde sie sich natürlich auch von ihr anhören müssen. Nein, das würde sie sich ersparen.
Als sie beim Durchblättern der Zeitung auf ihr Horoskop stieß, musste sie schmunzeln.
Sie finden neues Selbstvertrauen , stand da. Gehen Sie auch gern mal ein Risiko ein. Es könnte sich lohnen. Öffnen Sie sich für neue Bekanntschaften. Mit etwas Glück lädt Sie bald jemand zu einer spannenden Reise unter Palmen ein.
Na also. Selbst wenn das Tarot ihr eher Düsteres verhieß, standen wenigstens noch die Sterne auf ihrer Seite.
91
Als sich Jule am Samstagmorgen kurz vor elf aus dem Bett wälzte, fühlte sie sich leer und antriebslos. Ihre Wohnung kam ihr viel zu groß vor und das Patschen ihrer nackten Sohlen auf dem Parkett viel zu laut. Bei einem improvisierten Frühstück – zwei Scheiben trockener Toast und eine Schale Müsli mit dem letzten Rest Milch – ließ sie die Ereignisse des letzten Abends noch einmal Revue passieren. Was war da in Andreas’ Wohnung passiert?
Erst beim Ausspülen ihrer Müslischale fiel ihr etwas auf: Obwohl sie gestern alles versucht hatte, um sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren, nahm die Geschichte um den Mörder in Odisworth inzwischen mehr Raum in ihrem Denken ein, als ihr lieb sein konnte. Es war wie ein Programm, das irgendwo im Hintergrund lief, sich aber immer, wenn es etwas Neues zu melden gab, sofort vor die anderen Fenster schob und den Blick auf das Wesentliche verstellte. Wie ein Virus, der unaufhörlich Warnungen über grausame Mörder und grauenhafte Verbrechen auf den Bildschirm schickte. Das gefiel ihr überhaupt nicht.
Sie duschte und rief sich dabei die Unterhaltung ins Gedächtnis, die sie vor ein paar Tagen mit Eva Jepsen über Jan Nissen geführt hatte. Sie hatte explizit nach Nissen gefragt, und Eva hatte ihr bereitwillig Auskunft erteilt. Wenn an der abwegigen Idee, Andreas und Jan könnten identisch sein, irgendetwas dran wäre, hätte sie das wohl schon damals von der geschwätzigen Pensionsbetreiberin erfahren. Sie musste dringend etwas unternehmen, um sich abzulenken und wieder ihre innere Mitte zu finden. Was ihr letzten Samstag gut getan hatte, konnte diesen Samstag nicht falsch sein, beschloss sie. Sie würde sich etwas Nettes gönnen – ein bisschen teures Make-up, ein paar hübsche Klamotten, ein leckeres Essen … Ansonsten boten sich ja nicht viele Gelegenheiten, ihr Gehalt für sinnvollere Dinge auszugeben.
Sie machte sich ausgehfertig und nahm von der Station Hallerstraße aus die U1 zum Jungfernstieg. Die Fahrt dauerte keine fünf Minuten. Das war einer der wichtigsten Gründe, weshalb sie gern bereit war, die horrende Miete für ihre Zwei-Zimmer-Wohnung in Rotherbaum zu zahlen: Wann immer sie wollte und die Zeit dafür hatte, war sie in Windeseile aus ihrem ruhigen grünen Viertel mit den herrschaftlichen
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