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Der Wind bringt den Tod

Der Wind bringt den Tod

Titel: Der Wind bringt den Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ole Kristiansen
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fliehende Stirn und posierte stolz vor einem Traktor, der bis heute vor seinem Haus stand.
    »Er ist richtig böse geworden, als er herausgefunden hat, dass Jans Mutter ihm erlaubt hat, mit Puppen zu spielen«, leitete Andreas seine Beschreibung des dritten Fotos ein. Jan – erneut ohne Gesicht, aber mindestens drei oder vier Jahre jünger als auf dem Bild mit Kirsten im Ballkleid – saß auf dem Boden, umringt von einer vielköpfigen Schar von Barbiepuppen. In dem Moment, als auf den Auslöser gedrückt worden war, zwängte er eine von ihnen gerade in einen glitzernden apricotfarbenen Badeanzug. »Ein Junge spielt nicht mit Puppen«, flüsterte Andreas. Jette Nissens Gesicht, die bei Jan auf dem Boden hockte, war erfüllt von Mutterglück. Sie hatte Jan die Hand entgegengestreckt, als würde sie ihm anbieten, ihm dabei zu helfen, der widerspenstigen Puppe den Badeanzug anzuziehen. »Jan hatte viele Puppen.«
    Jule wurde abwechselnd heiß und kalt. Zwei irrsinnige Gedanken drängten sich ihr auf: Jan Nissen höchstpersönlich hatte eine der Puppen, mit denen er als Kind gegen den Willen seines Vaters gespielt hatte, verunstaltet und in ihrem Wagen abgelegt. Der andere Gedanke war abstrakter und noch weitaus beunruhigender, weshalb sie ihn sofort aus ihrem Kopf verbannte.
    Lachend wischte Andreas die Fotos vom Tisch. Wie trockenes Laub fielen sie auf die leeren Dosen. »Weißt du, wie die anderen Jan nannten?«
    »Nein«, sagte Jule. Ihre Finger schlossen sich noch fester um die Schere in ihrer Tasche.
    »Schwulibert.« Er wiederholte den Namen wieder und wieder in einem spöttischen Singsang. »Schwulibert. Schwulibert. Schwulibert.« Er schaute Jule an. »Das war nicht gerade nett, und als es eine Lehrerin mitbekam, hat sie es verboten. Jeder, der es trotzdem noch sagte, musste eine Mark in die Klassenkasse zahlen, weil Schwuli ein böses Wort war. Aber Kinder sind nicht dumm. Sie haben einfach etwas anderes gerufen.« Er stimmte wieder die Hohnmelodie an. »Esbert. Esbert. Esbert.«
    Jule klappte der Mund auf: Esbert und Jan Nissen waren ein und dieselbe Person. Und da war noch mehr. »Jan ist dieser Freund von dir, von dem du mir am Wochenende am Telefon erzählt hast. Der, den sie aus dem Dorf gejagt haben.«
    Andreas nickte.
    Jules Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Wenn sie es jetzt richtig machte, war dieser Besuch vielleicht doch noch zu etwas nütze. »Kannst du Jan erreichen?«
    »Klar«, antwortete Andreas. »Wir sind doch Freunde.«
    »Kannst du mir seine Telefonnummer oder seine Adresse geben?«
    »Auf keinen Fall.« Er schnitt eine Grimasse, als hätte sie ihn tödlich gekränkt. »Hast du mir nicht zugehört? Er will nichts mehr mit diesem Scheißdorf und den Scheißleuten da zu tun haben. Er geht nie wieder dorthin zurück.«
    »Was?« Das, was er da von sich gab, widersprach dem, was Jule von Eva Jepsen über Jan Nissen gehört hatte. »Das stimmt nicht. Er kommt noch ab und zu nach Odisworth.«
    »Nein«, beharrte Andreas auf seiner Meinung. Er hieb mit beiden Fäusten auf den Couchtisch. »Jan Nissen geht nie wieder nach Odisworth.«
    »Okay, okay.« Jule machte einen Schritt in Richtung der Tür. »Würdest du trotzdem für mich nachhorchen, ob er sein Grundstück verkaufen will?«
    »Er will nicht verkaufen«, kam es als ein düsteres Knurren aus Andreas’ Kehle.
    Jule fasste einen Plan: Solange Andreas sitzen blieb, würde sie weiter versuchen, ihn irgendwie dazu zu bringen, eine nützliche Information über Jan Nissen preiszugeben. Sobald er aufstand, würde die Sache anders aussehen. Dann würde sie die Schere aus der Tasche ziehen, um ihn auf Distanz zu halten, und so schnell wie möglich abhauen. Das war ein guter, ein vernünftiger Plan. »Hast du schon mit Jan geredet, ob er sein Grundstück vielleicht verkaufen würde?«
    »Natürlich.« Er kicherte und schüttelte den Kopf. »Wollen Sie mir vorwerfen, ich hätte meine Arbeit am Projekt vernachlässigt, Frau Schwarz?«, höhnte er.
    Sie ging nicht auf seine Provokation ein. »Könntest du ihn fragen, ob er mich sehen würde, damit ich ihm ein neues, verbessertes Angebot machen kann?«
    Jule rechnete mit einer patzigen Erwiderung. Stattdessen lächelte Andreas sie an, als stünden sie bei Zephiron auf dem Gang und tauschten sich über die miese Qualität des Bürokaffees aus. »Das kann ich sehr gern machen. Aber er wird nicht verkaufen. Jan weiß, was er will. Ich kenne ihn viel zu gut.«
    Seine letzte Bemerkung beschwor den

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