Der Wind bringt den Tod
Sicherheit noch mal alle kommunalen Melderegister im näheren Umkreis auf den Namen Margarete Fehrs zu durchforsten. Und was soll ich sagen?« Er machte eine Kunstpause. »Eine Margarete Fehrs mit dem passenden Geburtsdatum war nirgendwo gemeldet. Die Kontobewegungen aus der Zeit unmittelbar nach ihrem angeblichen Abgang waren auch interessant. Margarete Fehrs hatte eigene Karten für das gemeinsame Girokonto und das gemeinsame Sparbuch, und trotzdem hat sie bis heute nicht einen einzigen Cent abgebucht.«
Jules Mund wurde trocken. »Sie wollen doch nicht … heißt das … er hat seine Frau umgebracht?« Die Wände des kleinen Zimmers schienen Stück für Stück enger zusammenzurücken. »Er ist der Mörder?«
»Sie haben doch die Bilder von ihr gesehen, Jule«, sagte Smolski ruhig. »Auf diesem perversen Altar, den er ihr gebaut hat. Sie wissen doch, wie Margarete Fehrs ausgesehen hat. Sie war groß, schlank und blond. Wie Kirsten Küver, die spurlos aus ihrer Hamburger Wohnung verschwunden ist. Wie Jennifer Sander, deren Leiche man aus der Elbe gefischt hat. Wie Melanie Tockens, die in einem Wald auf seinem Grundstück gefunden wurde. Was würden Sie an meiner Stelle denken?«
Jule brauchte ihm keine Antwort zu geben. Stattdessen fragte sie: »Warum erzählen Sie mir das alles?«
»Hm?«, machte Smolski.
»Neulich musste ich Sie noch dazu drängen, mit mir über Fehrs zu reden«, erklärte Jule. »Und jetzt, jetzt weihen Sie mich einfach so in alles ein. Woher der Sinneswandel?«
»Tja …« Smolski kratzte sich am Kopf und schenkte ihr einen langen Blick. »Das mag jetzt abgeschmackt klingen, Jule, aber ich habe irgendwie das Gefühl, als würden wir uns schon sehr viel länger kennen als nur ein paar Tage. Als ob ich Ihnen voll und ganz vertrauen könnte. Oder liege ich damit etwa falsch?«
108
Caro wollte erst nicht rangehen, als sie Lothars Nummer auf dem Display ihres Handys sah. Zum Glück überlegte sie es sich im letzten Moment anders. Sie wusste es zu diesem Zeitpunkt noch nicht, aber seinen Anruf einfach wegzudrücken, hätte sie sich später niemals verziehen.
Das, was er ihr beichtete, war schlimm. Sie konnte gut verstehen, warum es ihn so aufgewühlt hatte. Was sie jedoch überhaupt nicht verstand, war, warum er nie vorher mit ihr darüber geredet hatte. Was hatte er gedacht? Dass sie sich von ihm trennen würde? Dass sie zur Polizei gehen würde? Das tat am meisten weh. Dass er nicht genügend Vertrauen zu ihr gefasst hatte, seine Sorgen früher mit ihr zu teilen.
Nach seiner Eröffnung plauderten sie noch einen Moment lang, als wäre alles wieder so wie vorher, und sie verblieben so, dass sie jetzt wahrscheinlich beide noch ein bisschen Zeit und Abstand brauchten. Man würde sehen, was aus ihnen werden würde. Damit war Caro alles andere als zufrieden, aber was hätte sie tun können? Lothar war eben stur wie ein Bock.
Sie hatte ihm selbstverständlich versprochen, sein Geständnis für sich zu behalten. Trotzdem spürte sie die Versuchung, sich irgendjemandem mitzuteilen. Sie holte ihr Telefon. Sollte sie Jule anrufen? Es klingelte an der Tür. Dankbar für die Ablenkung stand Caro auf und drückte den Türöffner. Sie schlüpfte hinaus ins Treppenhaus, um zu sehen, wer da die Stufen heraufkam.
Sie wollte es kaum glauben.
»Was machst du denn hier?«, rief sie ihm durch den Treppenschacht zu.
»Ich dachte mir, ich komme einfach mal vorbei. Wir haben eine Menge zu bereden.« Er blieb auf dem letzten Absatz vor ihrer Wohnungstür stehen und hob eine Flasche in die Höhe. »Ich habe Wein dabei.«
Caro grinste. »Na, dann mal immer rein in die gute Stube.«
109
Um sich von der traurigen Tatsache abzulenken, dass sie Lothar Segers vieldeutigen Satz über den Verbleib von Kirsten Küver womöglich falsch interpretiert hatte, holte Jule am Dienstagmittag etwas nach, was sie bisher versäumt hatte: Sie schaute im »Dorfkrug« vorbei.
Nur die schwere dunkle Eichentür entsprach Jules Erwartungen, die sie über den Gasthof hegte. Der eigentliche Schankraum war überraschend modern, obwohl er sich beileibe nicht mit den schicken Restaurants und Bars im Schanzenviertel oder auf der Reeperbahn messen konnte. Jule erlebte eine kleine Zeitreise, aber sie führte sie nur ein gutes Jahrzehnt und nicht ein halbes Jahrhundert zurück. Die Wände waren in einem freundlichen Gelb gestrichen, die Tische und Stühle aus hellem Holz standen auf Terrakottafliesen. Die Barhocker am Tresen sahen
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