Der Wind bringt den Tod
Daten wieder ab und lässt sie so in mein Denken einfließen, dass meine Wahrnehmung davon beeinträchtigt wird.«
»Aber was war dann der Auslöser für diese Halluzination von einem Feuer?«, wollte Eva wissen.
Jule ignorierte das verstörende Wort, das Eva gebraucht hatte. Ihre Frage war immerhin berechtigt. Irgendjemand oder irgendetwas hatte in ihrem Unterbewusstsein gleichsam den Keim für das Bild eines wütenden Feuers gelegt, und dieses Bild hatte sich dann zu einem denkbar unpassenden Zeitpunkt in ihrer Wahrnehmung manifestiert. »Manchmal hilft es, wenn ich mich daran zu erinnern versuche, woran ich vor so einer Sinnestäuschung gerade gedacht habe.«
»Und?«, fragte Eva ungeduldig. »Woran haben Sie gedacht?«
Die Antwort, die Jule zutage förderte, war verblüffend: »Ich habe über ein Gespräch nachgedacht, das ich mit Pastorin Jannsen hatte. Und wenn ich mich nicht irre, hat sie dabei eine brennende Scheune erwähnt.« Jule atmete auf. Ihr fiel ein Stein vom Herzen. »Sehen Sie, Eva, da ist sie. Eine logische Verknüpfung, die Spökenkiekerei überflüssig macht.«
»Dann meinen Sie also, die Pastorin ist daran schuld, dass Sie diese Halluzination hatten?«
»Da ist noch etwas gewesen, über das ich gern mit Ihnen reden würde«, sagte Jule vorsichtig.
Eva quittierte die Ankündigung eines plötzlichen Themenwechsels mit einem »So?«
»Es würde mir weiterhelfen, wenn ich nur wüsste, warum sich diese Frau ausgerechnet für Erich Fehrs so einsetzt.«
»Das wiederum ist nicht schwer zu erklären«, stellte Eva lapidar fest. »Dafür braucht man keine Geister. Margarete Fehrs ist eine geborene Jannsen. Ute Jannsen ist ihre jüngere Schwester.«
»Sie ist seine Schwägerin?«
»Genau. Und sie hat ihn schon immer in Schutz genommen, ganz egal, wie er sich aufgeführt hat.« Eva zuckte mit den Schultern. »Als Pastorin kann sie sich das auch prima erlauben. Ansonsten würde man ihr nicht so viel durchgehen lassen.«
Jule dämmerte etwas: Sie saß neben einer Person, die ihr nicht nur wohlgesonnen war, sondern ihr noch dazu einen Weg durch das Odisworther Dickicht aus Verwandtschaftsverflechtungen, Sympathien, Abneigungen, Rollenverständnissen und Geheimnissen bahnen konnte. »Ich hätte mich mit Ihnen schon viel früher einmal offen unterhalten sollen«, gestand Jule. »Es ist nur so, dass ich den Eindruck hatte, hier im Dorf völlig allein und auf verlorenem Posten zu stehen. Das war falsch. Sie sind mir hoffentlich nicht allzu böse, wenn ich Ihnen verrate, dass Sie und Ihr Mann die beiden einzigen Leute hier sind, die mir normal vorkommen.«
Eva lächelte und wiegte den Kopf hin und her. »Was heißt schon normal? Und für meinen Malte mit seinem ständigen Geknipse würde ich die Hand auch nicht ins Feuer legen.«
»Im Ernst.« Jule drehte den Ring an ihrem Finger. »Ich war sogar so durcheinander, dass ich eine Weile glaubte, mein Kollege Andreas wäre in Wahrheit Jan Nissen.«
Eva runzelte die Stirn. »Wie sind Sie denn auf so einen Blödsinn gekommen? Sie haben mich doch nach Jan gefragt. Denken Sie nicht, ich hätte Ihnen dann was in der Richtung gesagt?«
»Doch.« Jule biss sich auf die Unterlippe. »Mich hat nur irgendwann gewundert, dass ich bei meiner Arbeit hier nie auf Andreas’ Eltern gestoßen bin.«
»Sie sind tot«, erklärte Eva.
»Ich weiß.« Die Erinnerung daran, was sich in Andreas’ Wohnung ereignet hatte, bereitete Jule Unbehagen. Sie hätte gern erneut das Thema gewechselt.
Eva bemerkte das scheinbar nicht. »Er hatte einen Schlaganfall, und sie ist ein halbes Jahr danach an Krebs gestorben. Bauchspeicheldrüse, glaube ich.«
»O Gott«, flüsterte Jule. Es wurde dringend Zeit, über etwas anderes zu reden als tote Odisworther. »Und Sie haben wirklich nicht die geringste Ahnung, wo Jan Nissen jetzt wohnt? Oder wann er wieder mal auf einen Besuch ins Dorf kommt? Oder kennen Sie eventuell jemanden, der das wissen könnte?«
»Nein, leider nicht. So gern ich Ihnen helfen würde …« Sie seufzte. »Wissen Sie, wenn ich mich in die Lage der jungen Leute hineinversetze, dann kann ich schon verstehen, warum so viele von ihnen nicht in Odisworth bleiben. Es ist ein verschlafenes Nest, und heute hat die Jugend nun einmal andere Träume als zu meiner Zeit. Sie wollen die Welt sehen und nicht hier versauern.«
»Das kann schon sein. Aber Jan hatte ja noch andere Gründe, von hier fortzugehen, als nur Fernweh«, sagte Jule.
»Stimmt.« Eva schaute traurig zu
Weitere Kostenlose Bücher