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Der Wind bringt den Tod

Der Wind bringt den Tod

Titel: Der Wind bringt den Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ole Kristiansen
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gewesen. Ich wollte nachschauen, ob du vielleicht noch da bist, und hab gesehen, dass du dein Posteingangsfach nicht geleert hast.«
    »Ja, hab ich nicht. Und?«
    »Da ist ein Brief von Andreas für dich«, sagte Klaus zögernd. »Ich dachte mir, der könnte wichtig sein. Ich hab von deinem Termin bei Norbert gehört und –«
    »Mach ihn auf.« Jules Ehrgeiz meldete sich zurück. Hatte Andreas seine Meinung doch noch geändert, was eine Kontaktaufnahme mit Jan Nissen anging? Immerhin musste ihm aufgefallen sein, unter welchem Stress sie gestanden hatte, als sie bei ihm war – spätestens in dem Augenblick, als sie ihn mit einer Nagelschere bedroht hatte.
    »Hoppla«, meinte Klaus.
    »Was?«
    »Also«, kam es gedehnt aus dem Hörer. »Der Brief ist gar kein richtiger Brief, weil es gar kein Anschreiben gibt.« Das war eine Aussage, wie sie nur ein Ingenieur oder ein Informatiker treffen konnte. »Er hat dir nur einen Umschlag geschickt.«
    »Einen leeren Umschlag?«, wunderte sie sich.
    »Nein. Da ist ein Schlüssel drin.«
    »Ein Schlüssel? Was für ein Schlüssel?«
    »Sieht aus wie ein Wohnungsschlüssel, würde ich sagen. Nigelnagelneu.«
    Die ungewöhnliche Einladung jagte Jule einen kalten Schauer über den Rücken. Sollte sie darauf eingehen und zu ihm fahren? Andreas hatte im Moment schwere psychische Probleme, aber er war der einzige Mensch, der wusste, wo sich Jan Nissen aufhielt. Sie musste zu ihm fahren. Es war die einzige reelle Chance, die morgige Gemeinderatssitzung nicht in einem Fiasko für sie enden zu lassen. Eine winzige Chance, da sie schlecht einzuschätzen vermochte, ob Nissens angeblich so beharrliche Verweigerung, sein Land zu verkaufen, den Tatsachen entsprach oder eine Ausgeburt von Andreas’ Launen war. Im ersten Fall hätte sie nichts gewonnen, im zweiten jedoch …
    »Kannst du in zehn Minuten unten auf dem Parkplatz sein?«, fragte Jule.
    »Klar«, antwortete Klaus sofort. »Warum?«
    »Du musst eine vorgezogene und verlängerte Mittagspause machen.« Sie dachte daran, was ihr Andreas noch von Jan Nissen erzählt hatte – dass er als Teenager gern mit Puppen gespielt und großen Gefallen daran gefunden hatte, seine Freundin Kirsten Küver zu schminken. »Ich will nicht allein zu Andreas fahren.«

130
     
    Auf einen Anruf hätte Andreas aller Voraussicht nach nicht reagiert, also tippte ihm Jule eine SMS:
    Hab deinen Schlüssel. Komme gleich vorbei. JuleSie zahlte ihren Kaffee und ihr Crêpe, verließ das Restaurant und machte sich auf den kurzen Weg zum Firmenparkplatz von Zephiron. Klaus wartete schon auf sie. Trotz seiner schmächtigen Statur trug er ein Hemd in XL und an seiner weiten Hose keinen Gürtel. Er wirkte noch hagerer als sonst.
    Er war überrascht, dass sie darauf bestand, ihren Dienstwagen zu nehmen, verfiel jedoch in ein überschwängliches Lob, kaum dass er auf dem Beifahrersitz saß und seine langen Beine im Fußraum ausstreckte.
    Auf der rund halbstündigen Fahrt nach Bergedorf klärte Jule ihn darüber auf, was in Odisworth vorgefallen war. Sie konzentrierte sich auf die Dinge, die sich direkt auf den Windpark bezogen. Die Morde erwähnte sie nur am Rande, ihre zwei Beinaheunfälle – den gerade noch verhinderten Zusammenstoß mit dem rotzfrechen Jonas Plate und ihren Ausflug auf einen Acker – und ihre Begegnungen mit Smolski und Rolf ließ sie ganz aus. Sie gingen ihn auch nichts an.
    »Das ist ja alles schön und gut, Jule. Aber ich verstehe immer noch nicht, warum Andreas dir einen Schlüssel für seine Wohnung schickt.«
    »Das ist …« Wie beim letzten Besuch in Bergedorf parkte Jule den Wagen vor der Schule. Da die Parklücke schmal war und sie tüchtig das Lenkrad kurbeln musste, damit die breite Schnauze ihres Autos nicht irgendwo streifte, gewann sie wertvolle Sekunden, um eine passende Erwiderung zu finden. Sie hätte Klaus von den leeren Medikamentenschachteln in Andreas’ Badezimmermülleimer erzählen können, ließ es aber bleiben. »Das ist alles ein bisschen kompliziert.«
    »Ach so.« Klaus setzte eine beleidigte Miene auf. Vermutlich hatte er den Eindruck, zwischen Jule und Andreas hätte sich mehr als eine kollegiale Beziehung entwickelt. »Na dann …« Er öffnete vorsichtig die Autotür und quetschte sich umständlich durch den schmalen Spalt ins Freie.
    Als sie vor der Haustür der Ernst-Henning-Straße 36 standen, klingelte Jule. Ohne Erfolg. Die Gegensprechanlage blieb stumm, und der Schlüssel passte wohl nur zur

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