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Der Wind bringt den Tod

Der Wind bringt den Tod

Titel: Der Wind bringt den Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ole Kristiansen
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recht. Das passt nicht. Mein Bauch sagt dasselbe wie Ihrer: Er ist es nicht gewesen.«

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    »Wenn er es auf Sie abgesehen hätte, wäre es doch dumm von ihm, Sie im Vorfeld zu warnen. Und er würde auch nicht versuchen, Sie aus dem Dorf zu jagen«, hatte Smolski zur Verabschiedung gesagt. »Und selbst wenn – er würde niemals jetzt zuschlagen, wo das ganze Dorf voller Bullen ist.«
    Jule hätte das gerne geglaubt, doch sie konnte es nicht. Ihre Gedanken schweiften immer wieder zu der Puppe ab, die sie auf ihrem Beifahrersitz gefunden hatte. Alles, was Smolski da in die Waagschale warf, war ja schön und gut. Aber es gab einfach zu viele Dinge, die seine Versuche, sie zu beruhigen, zunichtemachten: Ihr Aussehen entsprach genau dem Typ Frau, der die niedersten Triebe dieses Mörders weckte. Smolski konnte nicht wissen, ob der Mörder nicht auch den anderen Opfern eine Warnung hatte zukommen lassen. Ob das am Ende vielleicht sogar wesentlicher Teil seines sadistischen Spiels war. Es bestand auch keinerlei Veranlassung, anzunehmen, dieser Mensch würde sein Verhalten auch nur ansatzweise an rationalen Eckpunkten orientieren – was war denn rational daran, Frauen zu entführen und sie zu Tode zu foltern? Zu guter Letzt hatte Smolski angedeutet, zwar einen wahren Wust an gerichtsmedizinischen Erkenntnissen, aber trotzdem nicht annähernd so etwas wie eine heiße Spur zu haben. Jule hätte sich auf der Stelle in ihren Wagen gesetzt, um davonzufahren, wenn es nicht das Ende ihrer Karriere bedeutet hätte.
    Sie war froh, als dieser schreckliche Tag sich dem Abend zuneigte und sie sich in ihrem Zimmer in der Pension einschließen konnte. Das schützte sie jedoch nicht vor einem Anruf, der ihre ohnehin schon angespannten Nerven noch weiter strapazieren sollte.

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    »Jule, ich hab die Faxen dicke.« Norbert Schwillmer schlug ohne Umschweife einen aggressiven Ton an. Es war halb sieben, und er hatte sich bestimmt das eine oder andere Feierabendbier genehmigt, wie er es häufiger tat. »Du treibst dich jetzt schon anderthalb Wochen da oben rum, ohne dass du irgendwelche zählbaren Erfolge vorzuweisen hättest. Das kotzt mich an, verstehst du? Das wird sich ändern.«
    Normalerweise wusste Jule, wie sie ihren Chef in solchen Situationen zu nehmen hatte, und begegnete vergleichbaren Ausfällen mit einer unbeirrbaren Sachlichkeit. Heute hatte sie dazu nicht die Kraft. »Ich weiß«, erwiderte sie stattdessen schwach. »Ich gebe mir alle Mühe, aber –«
    »Mühe allein reicht nicht«, fuhr er ihr dazwischen. »Mühe ist was für Verlierer. Mühe bringt man ins Spiel, wenn man keinen richtigen Plan hat, der zielgenau zum Ergebnis führt. Und du hast eben keinen richtigen Plan. So wie dieses Großmaul von Andreas schon keinen richtigen Plan hatte. Gott, Jule ich bin so enttäuscht von dir. Ich hatte gedacht, du setzt da ordentlich was in Bewegung. Und was machst du? Jammerst mir was von Mühe vor. Weißt du, was?«
    Sie schwieg. Wenn er sie jetzt tatsächlich von diesem Projekt abziehen oder gar feuern wollte, würde nichts, was sie sagte, daran etwas ändern.
    »Du stehst bei mir morgen um Punkt zehn auf der Matte. « Es war weder ein Angebot noch ein Vorschlag – es war ein Befehl, den er ihr erteilte. »Punkt zehn. Keine Ausreden mehr. Morgen reißen wir das Ruder rum, oder ich reiße jemandem den Kopf ab.« Er legte auf.

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    Jule war zum Heulen zumute. Tränen verschleierten ihren Blick. Sie war nicht traurig. Sie war wütend. Wütend auf Schwillmer, der sich den ganzen Tag in seinem Büro den Arsch breithockte und die Frechheit besaß, ihr erzählen zu wollen, wie sie ihre Arbeit richtig zu erledigen hatte. Auf Smolski, der ihr erst diesen ganzen Dreck erzählte, und ihr dann einreden wollte, sie brauche sich keine Sorgen zu machen. Auf sich selbst, weil sie sich das alles hätte ersparen können, wenn sie im richtigen Augenblick Nein gesagt hätte.
    Doch dafür war es jetzt zu spät. Es gab kein Zurück mehr. Sie musste das alles bis zum bitteren Ende durchstehen. Aber sie würde sich nicht kleinkriegen lassen. Sie hatte schon Schlimmeres erlebt. Sie war nicht so weit gekommen, damit sie jetzt alles in sich zusammenstürzen ließ wie ein Kartenhaus. Sie hatte die Angst, die sie seit Jahren plagte, nicht mühsam niedergerungen, um am Ende mit leeren Händen dazustehen.
    Sie holte ihren Autoschlüssel aus der Tasche und betrachtete ihn lange. Als ihr eine Idee gekommen war, wie sie all dem trotzen konnte,

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