Der Wind bringt den Tod
absonderlichen Routenvorschlag. Dann flackerte das Display, wurde völlig dunkel und zeigte danach die Landstraße an, die von einem breiten orangefarbenen Streifen unterlegt war. »Bitte folgen Sie dem Straßenverlauf sechzehn Kilometer«, sagte die Frauenstimme, als wäre nichts geschehen.
»Na also«, flüsterte Jule. »Geht doch.«
Es war sicher nichts anderem als dem Stress geschuldet, unter dem sie momentan stand, doch für einen Augenblick hätte Jule schwören können, dass das Motorengeräusch mit einem Mal nicht mehr wie ein aggressives Knurren, sondern eher wie ein niedergeschlagenes Murmeln klang.
28
»Habt ihr Sturköpfe auch nur den Hauch einer Vorstellung davon, wie viel Geld wir mit diesem Windpark in die Gemeindekasse spülen können?«, fragte Hans-Herrmann Mangels und hob beschwörend beide Hände.
Ingo Schütt blinzelte ihn hinter seiner dicken Brille verständnislos an und überließ wie so oft Lars Eggers das Wort. »Geld ist nicht alles«, sagte der Bauer mit dem rotblonden Stoppelhaar, dessen Sommersprossen seine groben Züge nur bedingt minderten. »Hier geht es nicht um Geld.«
Mangels richtete seinen Blick kurz auf die schweren schwarzen Bohlen, die die niedrige Decke im Hinterzimmer des »Dorfkrugs« stützten. Er hatte sich für sein Treffen mit den beiden wichtigen Mitgliedern des Odisworther Gemeinderats aus zwei Gründen an diesen eher versteckten Ort zurückgezogen: Zum einen wurde der große Schankraum der Wirtschaft derzeit von Journalisten belagert. Zum anderen wollte Mangels vermeiden, dass jemand aus dem Rathaus über heimliche Absprachen oder ähnlich dummes Zeug zu schwätzen begann. Er konnte auf noch mehr Zank in den eigenen Reihen aktuell sehr gut verzichten. »Worum geht es dann?«
»Es geht darum«, hob Eggers zu einer Erklärung an, »dass dieser Windpark zu viele Fremde hierherholt und wir am Ende nicht mehr machen können, was wir wollen.«
»Was für Fremde denn?«, sagte Mangels. »Ich habe mich gründlich informiert. Sobald der Park fertig ist, bleiben höchstens zwei oder drei Techniker vor Ort. Mehr nicht. Der Rest – der ganze Bautrupp und so – zieht doch schnell wieder ab.«
»Aber vielleicht nicht schnell genug«, sagte Schütt und nahm einen kräftigen Schluck Pils, das er sich an der Theke geholt hatte, obwohl es noch nicht mal halb elf war. »Kann doch gut sein, dass wir in der Zwischenzeit was regeln müssen.«
Eggers nickte und wies mit dem Kinn auf Mangels’ Mischling, der sich neben dem Stuhl seines Herrchens zusammengerollt hatte. »Denk mal dran, wie das mit deinem Hund war. Glaubst du, das wäre genauso gelaufen, wenn wir das ganze Dorf voller Fremder gehabt hätten?«
Mangels kniff die Lippen zusammen. Da war etwas dran. Sie hatten den dänischen Monteur, der sich vorletzten Sommer bei den Jepsens eingemietet hatte, dreimal gebeten, nicht mehr hinter dem Haus mit seiner Pistole, die anstatt Patronen Farbkugeln verschoss, herumzuballern. Der junge Mann hatte ihnen jedes Mal geantwortet, das gehe nicht anders, weil er für irgendwelche Schießereien mit anderen Dänen trainieren müsse, die er sich dann in seiner Heimat liefere. Und dann war es passiert: Mangels war mit seinem Hund spazieren gewesen, und wie immer lief Bismarck ihm ein paar Meter den Weg hinunter voraus. Plötzlich war er jaulend und mit eingekniffenem Schwanz zu ihm zurückgelaufen, und Mangels hatte bis heute nicht vergessen, wie die rechte Seite von Bismarcks Schädel ausgesehen hatte. Der verirrte Schuss des Dänen hatte den Hund direkt am Auge getroffen, sodass sich hellrotes Blut mit dem blassen Gallert aus dem aufgeplatzten Augapfel und giftgrüner Farbe zu einem widerlichen Schleim vermischte, der dem zitternden Tier von der Schnauze troff. Das Schlimmste daran war, dass Bismarck in seiner Verstörtheit verzweifelt nach dem Schleim geleckt hatte. Noch am selben Abend waren ein Dutzend Männer aus dem Dorf – einschließlich Eggers, Schütt und Mangels selbst – in die Pension gegangen und hatten den Dänen aus seinem Zimmer gezerrt. Eva und Malte Jepsen hatten schweigend zugesehen, wie Eggers dem Kerl erst androhte, ihm auch direkt ins Auge zu schießen, um es dann bei einer anderen Bestrafung zu belassen: Er zog dem Delinquenten die Hose herunter und schoss ihm aus nächster Nähe zweimal in die Weichteile. Danach schleiften sie den wimmernden Mann zu seinem Auto und jagten ihn aus dem Dorf. Der Däne war schlau genug gewesen, seine Misshandlung nicht
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