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Der Wind bringt den Tod

Der Wind bringt den Tod

Titel: Der Wind bringt den Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ole Kristiansen
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Therapiezeit kannte – eine ernste kompromisslose Bestimmtheit. Sie saß mit angezogenen Knien auf dem Sitzkissen neben dem Telefonschränkchen, und als ihr dämmerte, was er da andeutete, rutschten ihre Füße von der weichen warmen Unterlage auf die harten kalten Flurdielen.
    »Machst du gerade Schluss mit mir?«
    »Willst du denn mit mir Schluss machen?«
    »Erzähl keinen Blödsinn«, fauchte sie. »Warum sollte ich bei dir anrufen, wenn ich nichts mehr mit dir zu tun haben will?«
    Er schwieg wieder einen Moment. »Caro, ich habe dir am Anfang gesagt, dass ich dich nie anlügen werde. Das habe ich auch jetzt nicht vor. Aber ich habe dir auch klargemacht, dass es Dinge gibt, über die ich selbst mit dir nicht sprechen kann. Akzeptierst du das?«
    »Ich dachte immer, du meinst das in Bezug auf deine Arbeit«, sagte Caro verwirrt. »Dass du mit mir nicht über deine Patienten sprechen kannst.«
    »Akzeptierst du das?«, wiederholte er.
    Es klingelte an der Tür, bevor sie ihm eine Antwort geben konnte. »Ich melde mich später wieder«, sagte sie und legte auf.

31
     
    Der Start ins verlängerte Wochenende verlief für Jule genau so, wie sie es sich vorgestellt hatte. Sie holte sich bei ihrer Freundin den Zuspruch ab, den sie so dringend brauchte. Caro versicherte Jule mehrfach und überzeugend, dass Smolski erstens nie im Leben mit ihr geflirtet hätte, wenn er sich nicht zumindest ein kleines romantisches Abenteuer davon versprechen würde. Und zweitens dürfe man auch nicht vergessen, dass Smolskis Erscheinen ja von den Tarotkarten ausdrücklich angekündigt worden sei. Diesen zweiten Punkt betonte Caro so unnachgiebig und beinahe ehrfürchtig, als wäre er in Stein gemeißelt. Ihr Enthusiasmus war ansteckend, und so gab sich Jule gern der Illusion hin, die vorhergesagten Ereignisse würden nun nach und nach eintreten.
    Abgesehen davon wurde Caro auch nicht müde, Jule für ihren Mut zu loben. »Siehst du, du kannst doch noch Auto fahren«, war ein Satz, den Jule an diesem Wochenende bestimmt hundertmal zu hören bekam.
    Eigentlich hatte Jule mit dem Gedanken gespielt, bei Caro zu übernachten. Dieser Gedanke hatte sich mit jedem weiteren Glas Wein zwar verfestigt, aber letztlich war es anders gekommen.
    »Hast du nicht Lust, mal bei deinen Eltern anzurufen und ihnen zu erzählen, was für einen Riesenfortschritt du gemacht hast?« Caro war der festen Überzeugung, über alles ließe sich reden. Daher auch ihre recht spät am Abend gestellte Frage.
    Aber nein, Jule hatte keine Lust, mit ihren Eltern Kontakt aufzunehmen. Wenn es ein kleiner Sieg über ihre Angst gewesen war, die Fahrt nach Odisworth hinter sich gebracht zu haben, so wäre es eine gewaltige Niederlage für ihre Selbstachtung gewesen, ihre Eltern davon in Kenntnis zu setzen. Als ob sie ausgerechnet jetzt zu Kreuze kriechen würde.
    Bevor Caro noch weiter ausholen konnte, hatte Jule von einem Moment auf den anderen ihre Tasche genommen, ihrer Freundin einen flüchtigen Kuss auf die Wange gegeben und war schwankend in die Nacht verschwunden.

32
     
    Am Samstag, der für sie mit einem leichten Kater eingeläutet wurde, gelangte Jule zu der Überzeugung, dass es nur eine einzige Person in ihrem Leben gab, die es wirklich verdient hatte, dass man ihr etwas Gutes tat: sie selbst. Daraufhin frühstückte sie ausgiebig in ihrem Lieblingsbistro in Rotherbaum – das Wetter war sogar sonnig genug, um draußen auf der Terrasse zu sitzen – und brach danach zu einer Shoppingtour auf. Die Ausbeute konnte sich sehen lassen: drei neue Oberteile, eine weiße Leinenhose für schwüle Sommernächte und ein Paar elegante Sneaker, die auch zu ihrem gewohnten Businessoutfit nicht deplatziert wirkten. Es waren genau die richtigen Schuhe, um in Odisworth bei den hoffentlich bald stattfindenden Besichtigungen möglicher Windradstandorte über die Felder zu marschieren. Ein Odisworther hätte das sicherlich anders gesehen und ihr Gummistiefel empfohlen, aber für Jule stand eines fest: Sie würde sich nur bis zu einem gewissen Grad von den Erwartungen der Dörfler verbiegen lassen.
    Den Nachmittag und Abend brachte sie damit zu, Hauptkommissar Gabriel Smolski zu googeln. So umfangreich die Fundstücke ihres Einkaufsbummels waren, so spärlich waren die ihres Ausflugs in die Weiten des Internets. Smolskis digitaler Fußabdruck war geradezu kümmerlich: Neben einer Handvoll Treffer, bei denen sein Name in polizeilichen Pressemeldungen zu einigen unspektakulären

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