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Der Wind bringt den Tod

Der Wind bringt den Tod

Titel: Der Wind bringt den Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ole Kristiansen
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umlegen musste, um exakt die Reaktion zu erhalten, die sie herbeiführen wollte.
    »Die Frage einer stabilen, ökologisch voll verträglichen Energieversorgung stellt sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts angesichts schwindender Ressourcen, des ständigen Risikos von Reaktorkatastrophen und einsetzenden Klimawandels völlig neu. Unser Windpark ist Teil einer Antwort, die das globale Ökosystem auch für kommende Generationen schützt und erhält.«
    Der Gemeinderat spaltete sich bei diesem Hinweis und den darauf folgenden näheren Ausführungen über die »grüne Alternative Windenergie« nach Geschlechtern auf. Die Männer starrten desinteressiert aus dem Fenster, schenkten sich Kaffee nach oder schauten einfach ins Leere. In den Augen der Pastorin hingegen glomm ein schwacher Funke der Zustimmung auf, dennoch verzog sie das Gesicht wie eine Frau, die zu oft von ihrem notorisch untreuen Ehemann gehört hatte, sein jüngster Seitensprung sei zugleich auch sein letzter gewesen.
    Jule lenkte ihre kurze Rede bewusst in eine andere Richtung. »Was wir nie vergessen sollten, ist allerdings, dass unser Projekt bei allem Nutzen für die Umwelt hauptsächlich darauf abzielt, einen vielversprechenden Gewinn zu erwirtschaften – und zwar sowohl für mein Unternehmen als auch selbstverständlich für Odisworth. Finanziell wäre ein Windpark dieser Größe ein ausgesprochen lohnenswertes Unterfangen, das für die beteiligten Grundstückseigner weit über einen kleinen Nebenverdienst hinausginge. Auf lange Sicht – die allgemein steigenden Energiepreise mit einbezogen – spricht alles dafür, dass er für sie letzten Endes zu einem lukrativen Hauptverdienst werden wird.«
    Erneut spaltete sich der Gemeinderat entlang der Geschlechtergrenzen. Diesmal war es jedoch die Pastorin, die gelangweilt den Kopf schüttelte, während die Männer mit einem Mal ganz Ohr waren. Jule atmete innerlich auf. Manchmal war das Leben eben doch so, wie es ihrer Meinung nach immer sein sollte: herrlich unkompliziert und festen Gesetzmäßigkeiten folgend. Es waren solche Momente, in denen ihre grundsätzlichen Auffassungen über das Wesen der Welt und die Natur des Menschen bestätigt wurden. Es waren die Momente, in denen sie ausblenden konnte, dass nicht alles planbar war. Sie machte eine kurze Pause, um ihren Kaffee umzurühren und einen Schluck davon zu nehmen. Er war nur noch lauwarm und ziemlich dünn, aber das störte sie nicht. Am Ende war dieses Projekt ruckzuck durchgezogen, und Andreas hatte sich nur zu ungeschickt angestellt. Nicht einmal mit parteipolitischem Kalkül musste sie sich herumärgern, weil die Mitglieder des Gemeinderats wie in vielen anderen nordfriesischen Ortschaften vergleichbarer Größe alle derselben Partei angehörten – in diesem Fall der Wählergemeinschaft Odisworth. Es gab also keine Opposition, die aus reiner Gehässigkeit querschießen konnte.
    Beflügelt von dem guten Verlauf des Gesprächs schickte Jule zur Absicherung noch einen weiteren Testballon auf den Weg. »Ein Windpark wie Baldursfeld könnte Ihrem Dorf über Nacht deutschlandweite Popularität verschaffen. Große technische Errungenschaften begeistern die Menschen und ziehen sie oft in Scharen an. Odisworth ist ein Name, der vielleicht schon bald in aller Munde ist.«
    Es dauerte nur einen Augenblick, bis Jule begriff, dass sie den Bogen überspannt hatte. Wären die Gesichter der Odisworther Türen gewesen, wären sie laut knallend zugeschlagen. Das Schweigen, das sich nun über die Runde legte, war wie ein Mantel aus schwerem Stoff, der alles unter sich zu ersticken drohte. Es war etwas passiert, was Jule nie hätte passieren dürfen: Sie hatte einen falschen Hebel umgelegt, und jetzt probten die Maschinen den Aufstand, indem sie alle Räder in sich zum Stillstand brachten.
    »Das wäre von meiner Seite zunächst einmal alles«, sagte Jule eine Spur zu hastig, aber Schweigen war bei einer Verhandlung noch schlimmer als aufgebrachtes Geschrei oder leises Nörgeln. Sie hatte keine andere Wahl: Sie musste diese Leute, die sie bisher in die Rolle passiver Zuschauer gedrängt hatte, schnellstmöglich dazu verleiten, aktiv ins Gespräch einzusteigen. Die Lage schien ihr auch so bereits verfahren genug, als dass eine kleine Provokation nun noch größeren Schaden anrichten konnte. Im Gegenteil: Jule musste darauf bauen, dass ein direkter Angriff die Anwesenden aus der Reserve lockte. »Und nachdem ich Ihnen nun all diese Vorzüge umfassend erläutert

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