Der Wind bringt den Tod
noch lange nicht genug Druck, um endlich einzusehen, dass was passieren muss.«
»Lass ihn in Ruhe«, zischte Ute.
»Das werde ich machen.« Mangels lächelte sie höhnisch an. »Aber es gibt da jemanden, dem ich schlecht verbieten kann, sich einmal mit Erich darüber zu unterhalten, weshalb er sein Land nicht verkaufen will.« Er schaute auf seine Armbanduhr. »Und sie ist schon längst auf dem Weg hierher.«
42
»Wir warten schon auf Sie, Frau Schwarz.«
In die Stimme des Bürgermeisters hatte sich etwas geschlichen, das Jule nicht deuten konnte. Er schien ungehalten, und aus den Gesichtern der fünf Mitglieder des Gemeinderats sprach kein freundliches Willkommen.
»Ich hatte Probleme mit meinem Wagen«, sagte Jule nur. Sie war selbst am meisten verärgert darüber, eine Viertelstunde zu spät auf dem Schlachtfeld zu erscheinen. Denn genau das war dieses stickige Zimmer im Odisworther Rathaus. Es wäre leicht gewesen, sich von dem biederen Ambiente täuschen zu lassen: den gut gegossenen Topfpflanzen auf dem Fensterbrett, den Tee- und Kaffeekannen und dem Teller dänischem Gebäck, den großformatigen Aufnahmen von Leuchttürmen und Wattvögeln an den Wänden, dem Flipchart, auf dem in Andreas’ krakeliger Handschrift doppelt unterstrichen »Baldursfeld« zu lesen stand.
Es war ein Schlachtfeld, und das war nicht zuletzt deshalb so leicht zu erkennen, weil die Frontlinien deutlich gezogen waren. An einem Kopfende des Verhandlungstischs standen zwei Stühle – für Mangels und sie. Der Gemeinderat hatte sich gesammelt auf der anderen Seite des Tisches verschanzt. Jule setzte sich an ihren Platz und wählte den neutralsten Gesichtsausdruck, zu dem sie in der Lage war. Die Mundwinkel leicht gehoben, ohne gleich in ein angestrengtes Lächeln zu verfallen, und die Augen absichtlich ein wenig weiter geöffnet als normalerweise, um Interesse an ihrem Gegenüber zu signalisieren. Es war eine der Masken, die sie am liebsten trug.
»Möchten Sie etwas trinken?« Mangels konnte ihr anscheinend nicht sehr lange böse sein.
»Kaffee wäre nett.«
»Kommt sofort.« Er streckte sich, um nach einer der Kannen zu angeln. »Milch? Zucker?«
»Ja, bitte. Ein kleiner Schuss und zwei Stück.«
Mangels machte einen langen Arm, erreichte aber die Zuckerdose nicht. »Frau Pastorin, wenn Sie vielleicht so freundlich wären?«
Die Frau mit dem Seidentuch um den Hals schob die Zuckerdose die fehlenden Zentimeter auf Mangels’ Fingerspitzen zu.
»Vielen Dank.«
Während Jule beobachtete, wie Mangels ihren Wünschen nachkam, fiel ihr auf, dass sie keiner der anderen gegrüßt hatte. Kein förmliches »Guten Morgen« von der sauertöpfisch dreinschauenden Frau, kein gebrummtes »Hallo« von einem der hemdsärmeligen Männer, die in Jules Augen allesamt so aussahen, als hätten sie nur kurz die Feldarbeit unterbrochen, um hier an der Sitzung teilnehmen zu können. Einer von ihnen hatte tatsächlich Gummistiefel an, obwohl es gar nicht regnete. Ihrer Erfahrung nach war die beste Strategie in einer solchen Situation, all die Erwartungen der Gegenseite zu unterlaufen. Die Ausgangslage war eindeutig: Sie war die Fremde aus der Stadt, die den Bürgermeister schon um den Finger gewickelt hatte.
Jule schlug die Beine übereinander. Es konnte losgehen. Sie begann eine verkürzte Variante ihrer abgebrochenen Präsentation.
Sie war nicht eitel genug, um davon auszugehen, den Gemeinderat urplötzlich davon zu überzeugen, den bislang angedeuteten Widerstand aufzugeben. Ihre kühl, aber präzise vorgetragenen Schachtelsätze über Zukunftsperspektiven, den gesamtgesellschaftlichen Nutzen erneuerbarer Energien und die beiderseitigen Vorteile einer reibungslosen Zusammenarbeit dienten einem anderen Zweck: Sie sollten ihr helfen, die Odisworther einzuschätzen. Wer von ihnen war prinzipiell gegen das Projekt? Wer war nur ein Mitläufer? Würde es sinnvoll sein, denjenigen als Erstes umzustimmen, der vermutlich auch am leichtesten umzustimmen war? Oder nahm sie sich besser zunächst die härteste Nuss vor, weil der Rest danach einfacher zu knacken war?
Diese Gelegenheit, ein Problem taktisch und methodisch anzugehen, war einer der Gründe, warum Jule in ihrem Job so brillant war. In Verhandlungen wie dieser spielten viele zwischenmenschliche Belange, mit denen sie sich schwertat, in aller Regel eine untergeordnete Rolle. Hier drehte es sich darum, andere Menschen wie Maschinen zu sehen, an denen sie nur den richtigen Hebel finden und
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