Der Wind bringt den Tod
Kieler Institut für Rechtsmedizin. Es gab nur einen Besucherstuhl, den Smolski gleich für sich gepachtet hatte, weshalb Stefan Hoogens gekrümmt auf einer Ecke von Grüners Schreibtisch hocken musste. Hoogens hatte nichts gefrühstückt, und weder Smolskis nach kaltem Zigarettenrauch stinkende Klamotten, noch die Präsentation der vorläufigen Obduktionsergebnisse bekamen ihm besonders gut.
»Du willst also sagen, dass du nicht mehr feststellen kannst, ob der Täter sie vergewaltigt hat oder nicht«, herrschte er Grüner an.
Der antwortete ganz gelassen. »Richtig. Um genau zu sein, hat er dafür gesorgt, dass wir das nicht können. Er hat ihre Körperöffnungen versiegelt. Das Silikon, das er ihr –«
»Danke, danke.« Smolski hob abwehrend die Hand. »Wir haben schon kapiert. Keine DNA-Spuren?«
»Nichts.« Grüner schüttelte den Kopf und rieb sich seine Halbglatze. »Er ist gerissen. Und kaltblütig.« Er schaute Hoogens an. »Du hast doch den einen Hering gesehen?«
Hoogens nickte. Er würde diesen Anblick nie mehr vergessen, selbst wenn er das wollte.
»Es gab noch weitere an anderen Körperstellen«, erklärte Grüner. »Handelsübliche Ware, wie man sie in jedem Outdoor-Laden und gut sortierten Baumarkt kriegt, die er dann mit einer Feile noch zugespitzt hat. Mit zweien hat er ihr die Knie fixiert.« Er rollte auf seinem Drehstuhl hinter dem Schreibtisch hervor, presste seine Knie zusammen und drückte mit seinen Zeigefingern links und rechts knapp oberhalb der Kniescheibe auf die Gelenke. »Hier und hier. Er hat beide Heringe einmal komplett durch beide Knie gerammt.« Seine Finger wanderten zu seinen Hüften. »Und hier im Hüftgelenk gab es diese Fixierungen auch. Nur dass er da wohl einen Hammer zu Hilfe nehmen musste, weil die Hüftknochen nicht so einfach zu durchbohren sind.«
»Warum hat er das getan?«, warf Smolski ein.
»Er wollte sie anscheinend in einer ganz bestimmten Pose begraben«, sagte Grüner.
»Mit geschlossenen Beinen«, merkte Hoogens an.
»Hätte die Frau diese Verletzungen überleben können?«, bohrte Smolski weiter.
Grüner schürzte die Lippen. »Die an den Beinen und an den Hüften wahrscheinlich schon.« Er tippte sich gegen die Brust. »Aber der Hering, mit dem er die Hände festgemacht hat, hat das Herz gestreift. Nicht auszuschließen, dass sie dann trotzdem noch einen Moment gelebt hätte. Ich habe bereits am Fundort angedeutet, dass es grundsätzlich möglich ist, dass sie noch gelebt hat, aber nicht mehr bei Bewusstsein war. Zumindest muss sie bewegungsunfähig gewesen sein. Niemand hält in einer solchen Situation still, auch nicht auf Befehl eines völlig Wahnsinnigen.«
Smolski kratzte sich am Kopf. »Aber womit soll er sie betäubt haben? Da hätten wir doch Rückstände in ihrem Blut gefunden.«
»Nicht, wenn er ein Gas verwendet hat«, sagte Hoogens.
»Da muss nicht einmal Gas im Spiel gewesen sein.« Grüner schenkte Hoogens einen Blick, der besagte, wie wenig er davon hielt, dass dieser Bulle sich anmaßte, irgendwelche Theorien auf seinem Fachgebiet aufzustellen. »Da reicht auch schon GHB.«
Smolski nickte. »Liquid Ecstasy.«
»Ich hasse diesen Ausdruck«, sagte Grüner. »Das Zeug hat mit echtem Ecstasy nicht das Geringste zu tun, außer, dass es auch eine Partydroge ist. Es ist nicht einmal ein Amphetamin. Die Amerikaner haben schon seit Jahrzehnten Probleme damit. Es ist sehr beliebt, wenn es darum geht, sich eine Frau gefügig zu machen.«
»Du meinst K.-o.-Tropfen?«, fragte Hoogens.
»Wenn du so willst. In geringer Dosis wirkt GHB analeptisch. Daher kannst du es inzwischen auch bei uns in vielen Clubs kaufen, wenn du weißt, wen du fragen musst. Größere Mengen wirken hingegen schnell wie ein potentes Hypnotikum.« Seine Stimme nahm einen verächtlichen Tonfall an. »Halluzinationen, Amnesie, totaler Filmriss, wenn es nicht schlimmer kommt. Eine Überdosierung oder die Kombination mit Alkohol oder anderen Drogen kann bis hin zu Atemstillstand führen. Und das Zweitschönste an dem Zeug ist, dass es spottbillig zu haben ist.«
»Und was ist das Schönste?«, fragte Hoogens.
»Dass es nach der Einnahme binnen 24 Stunden in Kohlenstoff und Wasser zerfällt«, sagte Grüner.
»Und dann nicht mehr nachweisbar ist«, fügte Smolski hinzu.
»Also wissen wir gar nicht, ob der Täter wirklich GHB benutzt hat«, sagte Hoogens. »Was ist mit dem Mageninhalt? War da was Auffälliges?«
»Ja«, erwiderte Grüner. »Nämlich, dass es keinen
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