Der Wind bringt den Tod
Und dann zog der Wagen nicht richtig.«
Zehn Minuten später fühlte sie sich wie eine Lügnerin: Von der verzögerten Beschleunigung, die sie bei der Herfahrt nach ihrer unfreiwilligen Pause auf dem Autobahnrastplatz noch einmal wichtige Zeit gekostet hatte, war nicht mehr das Geringste zu spüren. Im Gegenteil. Es beschlich sie das unheimliche Gefühl, dass der BMW auf wundersame Weise noch ein paar Pferdestärken hinzugewonnen hatte und es kaum erwarten konnte, möglichst schnell eine große Distanz zwischen sich und Odisworth zu bringen.
45
»Ich wusste gar nicht, dass dir so viel an unserer Umwelt liegt.« Sein Hund strich Mangels nervös um die Beine, weil das Tier einfach nicht begreifen wollte, weshalb Ute Jannsen den Odisworther Bürgermeister nicht über die Schwelle des alten Pfarrhauses bat. »Ist etwa über Nacht eine Grüne aus dir geworden?«
»Was willst du?« Ute trat hinaus auf die Treppe und zog demonstrativ die Tür hinter sich ins Schloss.
»Ich wollte dir nur sagen, dass euer kleines Theaterstück vorhin völlig umsonst gewesen ist. Das kannst du auch gerne Eggers und Lühr und den anderen ausrichten.« Mangels paffte genüsslich an einem Zigarillo, das er bei seinem Spaziergang zum Pfarrhaus auf die Länge eines Fingerglieds heruntergeraucht hatte. Er hatte sich wenig überrascht gezeigt, dass es Ute gelungen war, diese beiden Holzköpfe für ihre Zwecke einzuspannen. »Ich habe Frau Schwarz nahegelegt, sich doch einmal direkt bei Erich zu erkundigen, wo Margarete abgeblieben ist.«
Ute wurde blass. »Das hast du nicht.«
»O doch.« Mangels ging die drei Stufen hinunter und warf seinen Zigarillostummel in Utes Vorgarten. »Erich wird sich entscheiden müssen, was ihm wichtiger ist. Das finanzielle Wohlergehen des Dorfes, das so viel für ihn getan hat, oder seine eigenen Wünsche.«
»Es sind nicht seine eigenen Wünsche«, verteidigte Ute den alten Bauern schwach.
»So? Wessen denn?« Mangels grinste unverschämt, weil es ihm gefiel, Ute so verunsichert zu sehen. »Deine vielleicht?«
»Das weißt du ganz genau.« Die Pastorin stützte sich am schmiedeeisernen Treppengeländer ab. »Sie wollte es doch nicht anders.«
»Tja.« Mangels zuckte die Schultern und pfiff seinen Hund zu sich, der immer noch nicht verstanden hatte, dass sie heute nicht ins Pfarrhaus gehen würden. »Ist es nicht schade, dass wir Margarete nicht fragen können, wie sie das Ganze sieht?«
»Du bist ein Schwein!« Die Beleidigung klang kraftlos und verzweifelt.
Er beantwortete sie mit einem höhnischen Grunzen.
»Ja, ein Schwein!«, wiederholte Ute. »Pass bloß auf, dass –«
»Ah, ah, ah«, machte Mangels. »Vorsicht. Ich lasse mir von dir nicht mehr drohen. Du hast genauso viel zu verlieren wie ich. Vergiss das nicht. Wenn du mir noch einmal drohst, nehme ich Erich seine Entscheidung ab. Und zwar endgültig. Mal schauen, ob du dann noch zu ihm hältst oder ob du dir dann nicht doch selbst die Nächste bist.«
Er wünschte der Pastorin noch einen guten Tag und machte sich auf den Weg zum »Dorfkrug«. Die Streiterei hatte seinen Appetit geweckt, und wenn er sich nicht irrte, stand Lammkotelett auf der Mittagskarte.
46
Die Werkstatt lag am Stadtrand von Norderstedt in einem heruntergekommenen Industriegebiet. Die breiten Straßen, in deren Rinnsteinen allerlei Unkraut wucherte, hätten dringend eine Grundsanierung gebraucht. Das traf auch auf die nüchternen Gebäude mit ihren rissigen Fassaden und ausgebleichten Firmenschildern zu – frühere Symbole der Hoffnung auf einen rasanten wirtschaftlichen Aufschwung, den es dann nie gegeben hatte.
Die letzten paar Hundert Meter absolvierte Jule im Schritttempo, vorbei an einem klapprigen Imbisswagen, vor dem zwei Coca-Cola-Sonnenschirme standen. Hinter einem Großhandel für Baustoffe erspähte sie das Schild: »Auto Behr – Gebrauchtwagen und Reparaturen aller Art«. Letzteres mochte stimmen, Ersteres erschien ihr wie eine dreiste Behauptung. Gerade einmal drei Wagen standen auf dem weitläufigen Hof: zwei dunkle Familienkutschen von VW, dazwischen ein silberner Smart. Auf Jule wirkten die beiden Passat wie Elterntiere, die sich schützend um ihr Junges drängten.
Jule ließ den Wagen ausrollen und stieg aus. Sie war etwas wacklig auf den Beinen – auf dem letzten Stück der ungewohnten Strecke hatte ihre Angst sie mit Herzrasen und Schweißausbrüchen gequält –, und sie versuchte, ihre Fassung wiederzugewinnen, indem sie sich fragte,
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