Der Wind bringt den Tod
sich ziehen können, aber nicht damit, was vor wenigen Minuten dann tatsächlich geschehen war: Der Gemeinderat war geschlossen aufgestanden, um wortlos an ihr und Mangels vorbei aus dem Besprechungszimmer zu gehen. Diesem schweigenden Exodus waren nicht einmal die mehr oder minder verstohlenen Blickwechsel vorangegangen, deren Zeuge Jule zuvor häufiger geworden war. Jetzt fühlte sich Jule wie ein Missionar, der bei der Verbreitung seiner frohen Botschaft versehentlich ein Stammestabu gebrochen hatte und nun darauf wartete, dass die Wilden mit ihren Keulen zurückkehrten, um ihn für seinen Frevel zu erschlagen. »War das nur wegen Fehrs?«
»Kann schon sein.«
»Sagen Sie mir wenigstens, was daran so schlimm ist, dass seine Frau ihn verlassen hat?« Sie versuchte, nicht daran zu denken, dass Fehrs einer der Verdächtigen in einem Mordfall war.
Mangels, der eine Treppenstufe über ihr stand, schnippte grinsend Asche in die Richtung eines Topfs, aus dem üppige Geranien wuchsen. »Wenn Sie das derart brennend interessiert, Frau Schwarz, dann fragen Sie ihn doch am besten selbst.« Er beugte sich so nah zu ihr herunter, dass sie unter dem ätzenden Tabakrauch einen Hauch minzigen Rasierwassers riechen konnte. »Ich verrate Ihnen mal ein kleines Geheimnis: Erich Fehrs ist einer der besorgten Bürger, die am meisten Einwände gegen unser gemeinsames Projekt haben. Wenn Sie den umstimmen, ist der Rest ein Kinderspiel.« Er richtete sich wieder auf.
Jule begann langsam zu begreifen, wie Mangels an seinen Posten als Bürgermeister gekommen war. Sie hatte ihn unterschätzt. Er war genau der richtige Typ, um in einem Dorf wie Odisworth erfolgreich Kommunalpolitik zu betreiben – jovial, wahrscheinlich trinkfest und mit einem Maskottchen versehen. Ihr wurde jedoch auch bewusst, dass er mit dem Windparkprojekt ähnlich überfordert war wie sie. Sie bewegten sich beide auf ungewohntem Terrain – sie hatte sich noch nie mit solch skeptischen nordfriesischen Dörflern herumplagen müssen, während er sich noch nie gezwungen gesehen hatte, in Verhandlungen mit einem deutschlandweit operierenden Unternehmen einzusteigen. »Ich befürchte, ich stelle mich ganz schön dumm an«, gestand sie.
»Ach was.« Mangels winkte ab. »Es liegt nicht an Ihnen. Die würden jeden triezen, der nicht von hier kommt. Nein, nein, Sie sind schon in Ordnung. Sie haben da bloß ein, zwei Eigenarten, auf die man unter meinesgleichen anfangs vielleicht mit ein wenig Ablehnung reagiert.« Er stockte kurz. »Die da zum Beispiel.«
»Was?« Sie schaute von ihrem brummenden Smartphone auf, das sie sofort nach dem ersten Vibrieren aus der Innentasche ihrer Kostümjacke geholt hatte.
»Na das.« Mangels schüttelte den Kopf. »Dass Sie mitten im Gespräch mit mir auf einmal dieses Ding auspacken, als wäre es viel wichtiger als ich.«
»Oh.« Sie bewegte sich in Hamburg mit Ausnahme von Caro nur unter Leuten, die genau wie sie ständig erreichbar zu sein hatten, wenn ihnen etwas an ihrer Karriere lag. Dass irgendjemand heutzutage noch daran Anstoß nehmen konnte, wäre ihr nie aufgefallen. »Ach so, das. Tut mir leid. Das ist definitiv kein Zeichen von mangelndem Respekt Ihnen gegenüber.«
»Nun gehen Sie schon ran«, sagte er.
»Es war nur eine SMS«, erwiderte sie. »Die kann warten.«
»Ich bestehe darauf. Jetzt haben Sie das Ding ja schon in der Hand.«
»Okay.« Sie gab sich geschlagen. Die SMS war von Klaus:
Hab für heute um 4 einen Termin für dich gemacht. Passt hoffentlich so.Es folgte die Adresse einer Werkstatt in Norderstedt – eine der vielen kleineren Städte im Speckgürtel von Hamburg, die über die Jahre mit der Metropole verwachsen waren. Jule lächelte. Klaus war so besorgt um ihr Wohlergehen, dass er gleich alles Notwendige in die Wege geleitet hatte, nachdem sie ihn eben vor der Sitzung noch rasch angerufen und von den Problemen mit ihrem Firmenwagen erzählt hatte. Er war eben eine richtig treue Seele.
»Gute Nachrichten?«, erkundigte sich Mangels.
»Mein Auto wird heute noch repariert«, antwortete Jule.
»Na hoppla. Herzlichen Glückwunsch. Das war also vorhin nicht nur geflunkert, weil sie zu spät aufgestanden sind, was?«
»Wo denken Sie hin?« Jule fasste sich spielerisch ans Dekolleté, als hätte Mangels sie in ihrer Ehre gekränkt. »Ich hatte wirklich eine kleine Panne.«
»So? Was war es denn?«
Jule zuckte die Achseln. »Zuerst ein Klopfen aus dem Kofferraum, aber das hat sich inzwischen erledigt.
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