Der Wind bringt den Tod
Jule niemandem recht machen. Doch wenn sie die Wahl gehabt hätte zwischen diesem Mechaniker und Bürgermeister Mangels, wäre das keine schwierige Entscheidung gewesen. Der Mechaniker zählte zu der Sorte Mann, die sich eine Glatze scheren konnte, ohne gleich wie ein Schläger auszusehen, weil seine Wangen rund waren und sein Kinn nicht zu kantig. Er hatte volle Lippen und eine kleine schmale Nase. Zusammen mit seinen großen dunklen Augen verlieh das seinem Gesicht die Züge eines freundlichen Mopses, und unter seinem Blaumann spannte sich das passende Bäuchlein. Ein Teddybär mit Muskeln. Es war ihr auch nicht unangenehm, dass er sie einige Sekunden lang musterte, ehe er sagte: »Ich habe mit jemand anderem gerechnet.«
»Tja, das kommt in letzter Zeit häufiger vor, dass ich Erwartungen enttäuschen muss«, antwortete sie und verbannte noch im selben Atemzug Odisworth und seine sonderbaren Bewohner aus ihrem Denken, weil sie für heute mehr als genug von ihnen gehabt hatte.
Er lächelte schüchtern. »Ich wollte Sie nicht vor den Kopf stoßen. Sie sind eine schöne Überraschung.« Er kam auf sie zu und hielt ihr seine große Hand entgegen. »Rolf Behr.«
»Jule Schwarz.« Sie stellte sich auf einen zu festen, schmerzhaften Händedruck ein, aber seine Hand war erstaunlich zart, sein Händedruck fast behutsam.
»Du hast ganz kalte Finger, Jule«, sagte er besorgt und hielt ihre Hand länger fest, als es den Geboten der Höflichkeit entsprach.
Es störte sie nicht, dass er sie duzte. Dank Schwillmer duzten sich in der Firma alle, und außerdem waren sie und er ungefähr im gleichen Alter. »Wundert dich das? Du hast mir eben einen richtigen Schrecken eingejagt.«
Er ließ ihre Hand los und schaute an sich herunter. »Bin ich etwa so schrecklich?«
»Geht so«, gab sie eine Erwiderung, die sie umgehend bereute. Da gingen binnen weniger Tage gleich zwei Männer unverkrampft auf sie zu, und sie hatte nichts Besseres zu tun, als sich barsch und desinteressiert zu zeigen.
Zum Glück wirkte Rolf weder enttäuscht noch beleidigt. Er deutete mit dem Daumen hinter sich. »Hast du den Schlüssel?«
»Klar.«
Sie nutzte die Zeit, in der er das Rolltor ganz hochfuhr und den Wagen hereinholte, um das Radio auszustellen, das gerade mit einem dramatischen Jingle die Nachrichten ankündigte.
Der Anblick, ihn in ihrem Wagen sitzen zu sehen, entbehrte nicht einer gewissen Komik, weil sein Kopf fast oben anstieß und er die Arme seitlich an das Lenkrad heranführen musste. Sie wehrte sich nicht gegen das Lachen, das in ihr aufstieg, und sie kicherte immer noch leicht, als er schon längst wieder ausgestiegen war.
»Was stimmt denn nun nicht?«, wollte er wissen.
»Tut mir leid. Das sah nur so witzig aus, wie du dich da in den Wagen reingequetscht hast. Bitte entschuldige, ist nicht böse gemeint.«
»Schon gut. Aber ich meinte eigentlich, was mit dem Auto nicht in Ordnung ist.«
»Oh … also …« Sie räusperte sich. »Angefangen hat alles mit so einem merkwürdigen Klopfen aus dem Kofferraum. Ich habe dann nachgesehen und festgestellt, dass unter der Abdeckung für den Reservereifen das Radkreuz verrutscht war. Nachdem ich das wieder richtig verstaut hatte, hörte das Klopfen auch auf. Was mir mehr Sorgen macht, ist die Sache mit dem Gas. Heute Morgen hat es immer erst einen kleinen Moment gedauert, bis der Wagen zog. Heute Mittag ging er wieder ganz normal. Ich wollte nur ausschließen, dass es was Gröberes ist.« Sie hob beide Zeigefinger und fügte schnell hinzu: »Und, ach ja, neulich hat auch das Navi gesponnen. Einmal ist es kurz ganz ausgefallen, und einmal hat es mir eine falsche Route angezeigt.«
Er sog Luft durch die Zähne und wackelte mit dem Kopf hin und her. »Hm. Könnte die Elektronik sein. Aber ich schau als Erstes mal in den Kofferraum.«
Jule stellte sich neben ihn, während er mit seiner Arbeit begann. Er brummte und beugte sich so tief in den Kofferraum hinein, wie es seine Statur zuließ. »Das sind aber ein paar sehr hässliche Kratzer da.«
»Ja, ich weiß. Das geht auf das Konto meines Kollegen. Ich fahre das Auto noch nicht lange. Er ist auch dafür zuständig, dass es so riecht, als wäre da drin etwas gestorben.«
Sein Daumen strich sachte über die Kratzer im Plastik. »Das ist gar nicht schön«, seufzte er. Er richtete sich ein Stück auf, entfernte die Abdeckung für das Ersatzrad und inspizierte alles, was darunter war. »Daran lag’s nicht«, gelangte er zu einer ersten
Weitere Kostenlose Bücher