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Der Wind bringt den Tod

Der Wind bringt den Tod

Titel: Der Wind bringt den Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ole Kristiansen
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welcher Teufel welchen ihrer Kollegen geritten hatte, ausgerechnet hier ein Auto zu kaufen. Sie hatte den Chefbuchhalter im Verdacht, ein ausgemachter Pfennigfuchser, der großen Gefallen daran fand, die Weiten des Internets nach den günstigsten Angeboten zu durchforsten, sobald eine größere Anschaffung fällig war.
    Sie ging auf den vorderen Teil des Flachdachgebäudes zu, wo sich die Strahlen der Nachmittagssonne auf einer breiten Fensterfront spiegelten. Eine schief an der Glastür angebrachte bedruckte Folie verkündete die Öffnungszeiten: »Mo – Fr 9 – 14 Uhr und nach Absprache«.
    Jule drückte die Klinke. Die Tür blieb zu. Sie klopfte dagegen. Nichts tat sich.
    Sie beugte sich dicht an die Scheibe, beide Hände links und rechts ans Gesicht gepresst, und erkannte einen schmucklosen braunen Tresen aus Plastikfurnier, das erfolglos versuchte, echtes Holz zu imitieren. Der Rest der Einrichtung ließ sie kurz daran zweifeln, ob es Auto-Behr noch gab und ob der Werkstattinhaber nicht mittlerweile dazu übergegangen war, sein Einkommen auf andere Weise zu verdienen: Überall im Raum standen Vitrinen auf dünnen Metallbeinchen, in denen unzählige Modellautos verschiedenster Größe aufgereiht waren – schnittige Cabrios, wuchtige SUVs, flache Flitzer, Oldtimer mit verspielt-geschwungenen Karosserien. Hier litt jemand ohne jeden Zweifel unter einem echten Sammlerwahn.
    Sie klopfte noch einmal an die Scheibe, ohne dass sich dahinter etwas rührte, und schritt dann die Fensterfront entlang, die in eine raue Betonfassade überging, bis zu einem breiten Rolltor, das nur halb geöffnet war. Aus den dunklen Schatten jenseits des Tors plärrte blechern ein zuckersüßer Popsong. Jule kannte diesen Song. ›Buttons‹ von den Pussycat Dolls. Sie bückte sich, streckte den Kopf unter dem Tor hindurch und rief: »Hallo?«
    » Push the buttons «, empfahl ihr das Radio mit Nachdruck. Sonst bekam sie keine Antwort.
    Jule duckte sich ganz unter dem Tor durch und betrat die Werkstatt. Sie knetete ihr Ohrläppchen, während ihre Augen sich nach und nach auf das trübe Licht einstellten. Ihre Nase musste sich nicht erst an die neue Umgebung gewöhnen: Motorenöl und Gummi mischten sich, darunter die stechende Schärfe von geschmolzenem Plastik und das herbe Aroma von Bier.
    An der Rückwand des Raums begann Jule, eine Reihe Spinde und mehrere Reifenstapel auszumachen. Links von ihr entdeckte sie einen aufgebockten Wagen, der sie an einen Kadaver denken ließ, über den ein Schwarm Geier hergefallen war: Reifen und Türen waren abmontiert und bis auf den Fahrersitz alle weiteren Sitze ausgebaut. Sie erkannte nicht einmal mehr die Marke, geschweige denn das Modell. Werkzeuge – Schraubenschlüssel, Ratschen und ein Schwingschleifer – lagen rings um das Wrack verstreut, dessen Motorhaube weit aufstand, als würde die geschundene Maschine einen stummen langen Schrei ausstoßen.
    »Hallo?«, rief Jule wieder. Warum war dieses verfluchte Radio nur so unerträglich laut? Sie schaute sich um und entdeckte es ein paar Schritte entfernt auf einem Werkzeugwagen. Der Untergrund hier war alles andere als eben, und sie achtete auf ihre Schritte, um nicht an irgendeiner Fliesenkante hängen zu bleiben. Ihre Finger hatten gerade den runden Lautstärkeregler ertastet, da sagte eine tiefe Stimme hinter ihr: »Guten Tag!«
    Sie stieß einen kurzen spitzen Schrei aus und fuhr herum.
    » Push the buttons «, erklang es wie zum Hohn aus dem Radio.
    Der Mann blieb unmittelbar vor dem Rolltor stehen, und da das Tageslicht von hinten auf ihn fiel, war von ihm zunächst nicht mehr zu erkennen als ein Schattenriss. Er war groß – so groß sogar, dass er wohl den Kopf einziehen musste, wenn er durch einen gewöhnlichen Türrahmen trat –, und seine Schultern waren breit genug, dass er es gleich mit zwei kräftigen Kerlen hätte aufnehmen können. »Kann ich etwas für Sie tun?«, fragte er.
    »Wenn Sie hier der Mechaniker sind, dann ja.« Jule fuhr sich rasch durchs Haar und bemühte sich, gelassen zu klingen. »Ein Kollege hat für mich einen Termin bei Ihnen ausgemacht.«
    »Für um vier?«
    »Ja.«
    Er machte einen Schritt zur Seite und streckte den Arm zur Wand aus. Zwei Neonröhren an der Decke klackten und brummten nervös, bevor sie in gleißendem Licht erstrahlten. »Sie sind zu früh. Ich war eben schnell was essen.«
    Mal tauchte sie zu früh bei einem Termin auf, mal traf sie mit einer Verspätung ein – heute konnte es

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