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Der Wind bringt den Tod

Der Wind bringt den Tod

Titel: Der Wind bringt den Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ole Kristiansen
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seine grausige Art der Dankbarkeit für all das, was man ihm an Unterstützung gegeben hat.« Bedächtigen Schrittes ging er auf Jule zu. »Verstehen Sie, was ich meine?«
    Jule verstand nicht, was er meinte, aber sie verstand etwas anderes, und diese Erkenntnis schnürte ihr die Kehle zu: Fehrs war verrückt. Es war nicht jene offenkundige Art von Wahnsinn, bei der der Betreffende sich schreiend die Augen auskratzte oder irre Flüche gegenüber Personen ausstieß, die gar nicht da waren. Es handelte sich um die wesentlich gefährlichere Art der Verrücktheit – das schleichende Gift, dessen Wirkung von außen kaum zu beobachten war und seinem Opfer dennoch nach und nach die Seele zersetzte. Und Jule war mit Fehrs auf engstem Raum gefangen.
    Sie dachte darüber nach, sich die Flasche Korn auf dem Couchtisch zu schnappen, um sie ihm über den Schädel zu ziehen. Zu spät. Er stand schon viel zu dicht vor ihr.
    »Verstehen Sie mich?«, wiederholte er seine Frage. Sein fauliger Atem schlug ihr ins Gesicht. »Verstehen Sie mich?« Er packte sie an den Schultern und schüttelte sie. »Verstehen Sie mich?«
    »Loslassen!«, schrie Jule. Sie versuchte, sich aus seinem Griff zu winden, aber seine Finger krallten sich nur umso fester in den Stoff ihrer Bluse. »Loslassen!«
    Sie versetzte ihm mit beiden Händen einen Stoß vor die Brust und warf sich nach hinten. Endlich lösten sich seine Finger von ihr. Sie prallte mit dem Rücken gegen etwas Hartes, das unter dem Zusammenstoß nachgab. Sie hörte ein lautes Poltern, und sie spürte weichen Stoff über ihre nackten Waden streichen.
    Fehrs war wie versteinert, die Hände noch halb erhoben und den Blick fest auf das gerichtet, was Jule umgeworfen hatte. Nur seine Lippen bewegten sich in einem tonlosen Flüstern.
    Jule schaute nach unten. Sie stand auf der Schleppe des vergilbten Brautkleids. Erschrocken trat sie nach hinten über die Schaufensterpuppe hinweg. »Tut mir leid. Das wollte ich nicht. Aber Sie hätten mich nicht so …« Sie brach ab, als sie feststellte, dass ihr Fehrs nicht die geringste Beachtung schenkte.
    »O nein.« Er ging vor dem Brautkleid auf die Knie und begann, an den Fußabdrücken herumzuwischen, die Jule darauf hinterlassen hatte. »O nein.«
    Erst als der alte Bauer bemerkte, dass seine kruden Bemühungen den Dreck nur noch großflächiger verteilten, sah er zu Jule hoch. Er zischte: »Was haben Sie da nur getan?«
    Ein Klingeln an der Tür bewahrte Jule davor, ihm eine Antwort geben zu müssen.
    Fehrs rappelte sich ächzend auf, raunte etwas Unverständliches und schlurfte auf den Flur hinaus. Sie eilte ihm atemlos hinterher.
    »Sie schon wieder«, begrüßte Fehrs barsch den Mann vor der Tür.
    »Ja, ich schon wieder«, entgegnete Gabriel Smolski. Als der Kommissar über Fehrs’ Schulter hinweg Jule bemerkte, weiteten sich seine Augen. »Frau Schwarz!«
    »Hauptkommissar Smolski«, sagte Jule erleichtert. »Das ist aber eine nette Überraschung!«
    »Gleichfalls«, erwiderte er. Sein Blick fiel auf ihre derangierte Bluse. »Alles in Ordnung bei Ihnen?«
    Jule zwängte sich an Fehrs vorbei ins Freie. »Herr Fehrs und ich reden gerade über den Windpark.«
    »Aha.« Smolski zupfte sich kurz an seinem Ziegenbärtchen. »Ich fürchte, Sie werden Ihr Gespräch unterbrechen müssen.«
    »Das macht gar nichts«, sagte Jule. Je schneller sie von hier wegkam, desto besser.
    Smolski wandte sich an Fehrs. »Ich hätte da nämlich noch ein paar Fragen an Sie, wenn es keine Umstände macht.«
    Fehrs machte die Tür frei. »Immer rein in die gute Stube«, forderte er Smolski auf, als wäre er ein alter Bekannter. »Ich muss Sie aber warnen. Bei mir ist noch weniger aufgeräumt als sonst.«
    Smolski trat in den Flur. Fehrs hatte die Tür schon fast geschlossen, als er sie noch einmal aufzog. »Ich verkaufe mein Land nicht, Frau Schwarz«, sagte er überraschend freundlich. »Und wagen Sie es bloß nicht, sich auf meinem Hof noch einmal blicken zu lassen. Sie haben schon genug angerichtet.«
    Dann zog er die Tür zu und ließ Jule mit dem leisen Grunzen der Schweine allein auf dem Hof stehen.

54
     
    Er dachte nicht gern darüber nach, dass man eine der Frauen gefunden hatte und was passieren würde, sobald man herausfand, dass er mit ihr gespielt hatte. Wie sollte er das Spiel noch spielen, wenn sie ihn einsperrten? Und sie würden ihn einsperren, das wusste er.
    Er hatte oft darüber nachgedacht, wie es sein würde, eingesperrt zu sein. Manchmal hatte er

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