Der Wind bringt den Tod
Bauer kam ihr zuvor. Er ging an ihr vorbei zu einem der dreckigen Fenster und legte die Hand auf die Scheibe. »Sehen Sie das? Sehen Sie das da draußen? Das ist alles mein Land. Mein Land. Es gehört mir. Mir und niemand anderem. Ein Teil davon ist seit Generationen in meiner Familie, einen Teil davon habe ich von dem Geld, das ich mir mühsam erwirtschaftet habe, dazu gekauft. Ich liebe es. Ich gehe hier nicht weg, und –«
»Das verlangt doch auch niemand von Ihnen«, versuchte Jule ihn zu bremsen, aber es war zu spät.
»– ich verkaufe auch nichts davon.« Er nahm die Hand von der Scheibe und ballte sie zur Faust. »Nicht einen einzigen Quadratmeter«, zischte er. »Nicht einen einzigen. Merken Sie sich das.«
Die schlechte Luft und ihre Enttäuschung über sich selbst waren zu viel für Jule: Sie spürte einen leichten Schwindel, aber ihr Ekel war zu groß, um sich auf den alten Fernsehsessel oder die fleckige Couch zu setzen. Das lief gar nicht gut. Sie musste diesen Sturkopf unbedingt wieder zur Vernunft bringen. »Denken Sie doch auch an das Dorf. Wie Odisworth von dem Windpark profitieren könnte.«
Er lachte spöttisch auf. Es war ein hässlicher Laut, der an ein Grunzen erinnerte, als hätte er schon deutlich zu lange mit Schweinen zu tun. »Odisworth wird noch früh genug von mir profitieren. Ich habe keine Kinder, wissen Sie. Margarete war mir immer eine gute Frau, aber Kinder … das hat nie geklappt. Einmal war sie schwanger, aber dann …« Er winkte zornig ab, und seine Worte, die ein wenig an Kraft verloren hatten, wurden mit jedem weiteren Satz wieder lauter. »Sagen Sie diesem gierigen Raffzahn Mangels, dass sich Odisworth freuen kann, wenn ich mal nicht mehr bin. Ich habe vor, mein ganzes Land der Gemeinde zu vermachen. Warum? Weil ich besser verstanden habe, was wahre Treue heißt, als er und seine Bagaluten sich das vorstellen können. Ich bin von ganzem Herzen Odisworther. Wie mein Vater und mein Großvater.« Nun brüllte er fast. »Und ich bin auch nicht so dumm, zu denken, dass der Fortschritt ausgerechnet vor unserem Dorf haltmacht. Ich verlange doch nur, dass der Fortschritt noch ein paar Jahre wartet, bis ich auch unter der Erde bin. Ist das etwa zu viel verlangt? Hä? Ist das etwa zu viel verlangt?« Seine Stimme brach, und er krümmte sich in einem wilden Husten, bis ihm die Augen aus den Höhlen hervorzuquellen drohten.
Jule kämpfte gegen ihren Schwindel an und machte zwei taumelnde Schritte nach hinten, ehe sie wieder einigermaßen festen Stand fand. Mangels hatte nicht übertrieben, als er meinte, Fehrs wäre einer der Odisworther, die sich am hartnäckigsten gegen den Windpark sperrten. Zum Glück war er nicht der Einzige, den Jule bearbeiten konnte. Sie wartete, bis Fehrs wieder zu Atem gekommen war, und sagte: »Vielleicht sollte ich lieber zuerst mit Ihrem Nachbarn reden. Wie hieß er noch gleich? Esbert? Nissen?«
Die Erwähnung dieser beiden Namen stieß in Fehrs eine beunruhigende Verwandlung an. Er wischte sich über den Mund und krümmte sich dabei noch ein wenig mehr zusammen, obwohl sein Husten längst vorüber war. Die Falten in seinem Gesicht wirkten tiefer, und seine Stimme wurde brüchig. »Nissen … Sie wollen mit Nissen reden?«
Jule nickte und stellte ihr Glas absichtlich hart auf dem Couchtisch ab. Jetzt zitterten ihr auch noch die Knie. »Warum nicht?«
»Sie sind wirklich noch sehr jung, Frau Schwarz«, gab er ihr eine rätselhafte Antwort. »Sie haben noch nicht gelernt, wie man sich in einem Menschen täuschen kann. Zu welchen Dingen er in der Lage ist. Selbst ein Mensch, den man glaubt, in- und auswendig zu kennen. Ein Mensch, dem man nichts als Zuneigung entgegenbringt, weil er einem so hilflos und liebebedürftig erscheint. Aber das Böse ist schlau.« Er lächelte versonnen, doch es lag keinerlei Freude darin. Es war eher das Lächeln eines Mannes, der einmal einen großen Fehler begangen hatte und nun erkannte, wie blind er damals gewesen war. »Das Böse gibt sich so gern unschuldig, weil wir uns ihm dann mit den besten Absichten nähern. Weil wir es bei uns aufnehmen und nicht begreifen, was es wirklich vorhat, bis es zu spät ist. Und dann bezahlen wir einen hohen Preis dafür, dass wir uns von ihm haben hinters Licht führen lassen. Nicht unbedingt sofort. Manchmal dauert es viele Jahre. Es lauert und wartet auf den richtigen Augenblick, um eiskalt zuzuschlagen. Um uns zu zeigen, dass es uns nicht vergessen hat. Vielleicht ist das
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