Der Wind bringt den Tod
Menschen, aber der Gedanke, allein mit seinem Hund zwischen den Bäumen hindurchgehen zu müssen, hatte ihm nicht behagt. Außerdem gab es einen handfesten Grund, den Wald zu meiden: Obwohl Marko Assmuth behauptet hatte, die Arbeiten der Kripo am Leichenfundort wären vorerst abgeschlossen, wollte Mangels nicht das Risiko eingehen, sich dort oder auch nur in der Nähe blicken zu lassen.
Mangels blieb vor der Distelwand stehen und betrachtete das Haus. In der Nacht des Feuers hatte es kein Unkraut im Garten gegeben, nur von der Sommerhitze verdorrtes Gras und Gemüsebeete mit runzligen kleinen Kohlköpfen, denen der Regen gefehlt hatte. Aus dem Dach waren meterhoch die Flammen geschlagen, die alles um das Gebäude herum in einen irren Reigen aus flackerndem rotem Licht und zuckenden Schatten versetzten. Beißender Qualm stieg in einer gigantischen pechschwarzen Säule zum Himmel auf, an dem sich von Blitzen durchzuckte Wolken zu schroffen Gebirgen auftürmten. Die Brandursache war nicht zu übersehen: Als Mangels mit dem Rest des Löschzugs der Freiwilligen Feuerwehr Odisworth eintraf, fraß sich das Feuer gerade den vom Blitz getroffenen gespaltenen Baumstamm hinunter. Er war ausgerechnet auf das Dach des Haupthauses gekippt.
Jan Nissen saß vor seinem Elternhaus, die Beine weit von sich gestreckt, den Kopf gesenkt. Nah genug an der Feuersbrunst, dass ihm der Schweiß in Strömen von der Stirn lief und sich mit den Tränen in seinem Gesicht vermischte. Alle paar Sekunden wurde Jan von einem Hustenkrampf geschüttelt, und in den kurzen Pausen, in denen seine Lungen nicht gegen den Rauch rebellierten, schluchzte er wieder und wieder: »Der Blitz, der Blitz!«
Erich Fehrs kümmerte sich um den Jungen, half ihm auf, redete beruhigend auf ihn ein und bugsierte ihn Meter für Meter weg vom brennenden Haus, damit Mangels und die anderen Feuerwehrleute ihre Arbeit machen konnten. Fehrs hatte sie auch verständigt, wie sich später herausstellte. Er hatte gesagt, er habe wegen des Donnergrollens nicht schlafen können und irgendwann den Schein des Feuers bemerkt.
Jemand Übereifriges aus dem Zug – war es Walter Basedau? – wollte sich einen Atmer aufsetzen, um ins Haus vorzudringen. Mangels verhinderte es. Er zog seine Schlüsse daraus, dass Jan ohne seine Eltern vor dem Haus saß. Die alten Nissens waren höchstwahrscheinlich tot, und es wäre fahrlässig von Mangels gewesen, da jemanden hineingehen zu lassen, um zwei Leichen zu bergen.
Er gab die Anweisung, den Schlauch auf das Dach der Scheune zu richten, um zu verhindern, dass der Brand auch auf sie übergriff. Seine größte Angst war, dass die stiebenden Funken bis zum nahen Wald flogen und einen Flächenbrand entfesselten.
Sie hatten großes Glück. Nachdem die beiden Löschwagen aus Joldebek und Kolkerlund endlich eintrafen, konnten sie mit vereinten Kräften wenigstens das Erdgeschoss des Haupthauses retten. Allein das war ein kleines Wunder.
Die Sonne ging bereits wieder auf, als Mangels sich zusammen mit den Zugführern aus den beiden Nachbarsdörfern Odisworths und dem immer noch von jugendlicher Energie getriebenen Basedau in das Haus hineinwagte. In weiten Teilen der unteren Etage stand knöcheltief ein schlammiger Matsch aus Löschwasser und Asche. Über die immer noch schwelende Treppe tasteten sie sich ins Dachgeschoss vor. Da hoffte Mangels insgeheim noch, Klaas und Jette könnten im Schlaf erstickt sein. Die Tür zu ihrem Schlafzimmer war durch die Hitze des Feuers so verzogen, dass die Brandäxte zum Einsatz kommen mussten.
Mangels hatte das Geräusch nie vergessen, das es gab, als er über die beiden übereinanderliegenden Leichen stolperte und dabei auf Jettes Hand trat: ein sattes feuchtes Knirschen, wie ein volles Marmeladenglas, das auf hartem Untergrund zerschellte.
Die Nissens waren nicht im Schlaf gestorben. Sie waren wach geworden und aus ihren Betten heraus auf die Tür zugekrochen. Vielleicht hatten sie versucht, sich möglichst nah am Boden zu bewegen, weil der Rauch dort nicht so dicht gewesen war. Genutzt hatte es ihnen nichts. Sie waren nur noch anhand ihrer Größe voneinander zu unterscheiden gewesen, und Mangels dankte Gott dafür, dass sie mit dem Gesicht nach unten gelegen hatten. Der Anblick ihrer verkohlten Rücken hatte ihm schon genug Albträume beschert.
Womöglich hätte Mangels das furchtbarste Detail übersehen, wenn ihn Walter Basedau nicht darauf aufmerksam gemacht hätte. Er hatte auf ein Trümmerstück der
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