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Der Wind bringt den Tod

Der Wind bringt den Tod

Titel: Der Wind bringt den Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ole Kristiansen
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jemanden, bei dem sie ihr Geschwätz loswerden konnte. Über Kaffee, Nutellabrötchen und Rührei brachte sie Jule auf den neuesten Stand der Dinge.
    Jule ließ sich bei diesen Vorträgen ganz auf ihre Gastgeberin ein. Sie nickte, wenn es angebracht war. Sie schnaubte verächtlich an jenen Stellen, an denen eine entrüstete Reaktion erwartet wurde. Sie schüttelte den Kopf, sobald Eva ein Zeichen ihres geteilten Unverständnisses für das Verhalten eines Dorfbewohners einforderte. Insgeheim hoffte Jule, dass sie das eine oder andere erfuhr, was ihr für ihre Arbeit von Nutzen sein konnte. Leider erzählte Eva nichts dergleichen. Nach dem Frühstück beteiligte sich Jule höflich, aber halbherzig einige Minuten an der Suche nach dem verlorenen Brief mit dem neuen Bebauungsplan und trat dann den Rückzug in ihr Zimmer an. Sie nutzte den restlichen Morgen, um zum wiederholten Mal Andreas’ chaotische Projektunterlagen durchzugehen, die sie auf ihren Laptop gespeichert hatte. Auch wenn sie nun den Namen Jan Nissen zuordnen konnte, stellte Esbert immer noch ein Mysterium für sie dar. Vielleicht war es vergeudete Zeit, sich überhaupt noch Gedanken über ihn zu machen: Wenn man von der Flächenzahl der wichtigsten Grundstücke ausging, konnte es sich bei ihm und Jan Nissen eigentlich nur um ein und dieselbe Person handeln. Das legte die Theorie ihres Chefs nahe, Esbert wäre nichts anderes als ein Spitzname. Andererseits konnte Jule nicht ausschließen, dass sich Andreas mit den Zahlen vertan hatte oder dass Jan Nissen seinen Besitz zwischenzeitlich heimlich, still und leise an Esbert verkauft hatte.
    Während Jule Andreas’ Unterlagen nach Spuren durchforstete, die zu einer Lösung des Rätsels um Esbert beitragen konnten, kombinierte sie wie nebenbei die vorhandenen Informationen, setzte sie in einen neuen Zusammenhang und überrumpelte sich selbst mit dem Ergebnis. Sie hätte vor Schreck beinahe den Laptop zugeklappt. Was, wenn die unheimliche Gestalt auf dem Waldweg, die sie vor ein paar Tagen gesehen hatte, niemand anderes als Jan Nissen gewesen war? Oder Esbert? Dass sich jemand in dieser Nacht auf dem Gehöft herumgetrieben hatte, stand nicht zur Debatte. Sie hatte sich nicht eingebildet, dass das Scheunentor vom einen auf den anderen Moment geschlossen worden war. Es sah alles danach aus, als wäre sie dem Grundstückseigner schon einmal näher gekommen, als sie bis jetzt gedacht hatte. Sie hatte von Anfang an Zweifel an Smolskis These gehabt, wonach die dunkle Gestalt nur einer der Kripo-Ermittler gewesen sein sollte. Plötzlich kam sich Jule in ihrem kleinen Zimmer gefangen vor, und sie war erleichtert und dankbar, als sie Eva nach ihr rufen hörte.
    Der gesuchte Brief war zwar immer noch nicht aufgetaucht, aber immerhin lud Eva Jule zum Mittagessen ein. Es gab Hühnerfrikassee mit Reis und eine weitere Portion Klatsch aus dem Dorf. Nachdem sie pappsatt war und gemeinsam mit Eva den Geschirrspüler eingeräumt hatte, bat sie um ein örtliches Telefonbuch, mit dem sie es sich auf der Terrasse bequem machte. Obwohl sie bereits online nach Nissen und Esbert gesucht hatte, wollte sie sich nicht vorwerfen lassen, nicht alles in ihrer Macht Stehende getan zu haben, um den mysteriösen Grundstückseigner aufzuspüren.
    Die Nummern für Odisworth nahmen in dem schmalen Bändchen, das die Anschlüsse der gesamten umliegenden Gegend verzeichnete, nur drei Seiten in Anspruch. Sie war noch bei A, als sie eine neue Idee hatte: Konnte es sein, dass Esbert weder ein Familienname noch ein Spitzname, sondern ein Vorname war? Falls ja, dann war er alles andere als geläufig, aber immerhin hielt sie sich hier in einer Gegend auf, wo man auf die ungewöhnlichsten Namen stieß: Swentje, Frithjof, Kennet, Emmo, Rixte … Die Liste war lang, und ein Esbert hätte da eigentlich gut hineingepasst. Mit besonderer Berücksichtigung dieser Möglichkeit las Jule Zeile um Zeile. Sie war bei H angelangt, als ihr auffiel, dass Eva wahrscheinlich sämtliche Odisworther auch mit Vornamen kannte, und sie sich gerade in etwas komplett Abseitiges verstieg. Da sie schon einmal damit angefangen hatte, wollte sie ihre Nachforschungen trotzdem zu Ende bringen. Ihr Blick blieb an dem Eintrag »Küver Hanno, Grüne Wech 7« hängen. Hanno Küver gehörte zu dem Trio an Odisworthern, die am meisten Land zu Baldursfeld beizusteuern hatten.
    Jule brauchte nicht lange für ihre nächste Entscheidung: Erich Fehrs hatte ihr deutlich zu verstehen gegeben,

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