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Der Wind der Erinnerung

Der Wind der Erinnerung

Titel: Der Wind der Erinnerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kimberley Wilkins
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denken, wie es wäre, zwei Häuser statt einer winzigen, vollgestopften Wohnung zu besitzen. Einen Vater zu haben, der für sie sorgte.
    Sie war außer Atem, als sie dort eintraf, und blieb vor der breiten Treppe stehen, um Luft zu holen. Sie hatte gar nicht gemerkt, dass sie gelaufen war. Die Morgensonne brach durch die Wolken und ließ die Pfützen verdunsten. Im Park stimmten die Vögel einen lauten Chor an. Beattie wartete, bis sich ihr Herz beruhigt hatte, wischte sich die Tränen aus dem Gesicht, stieg die Stufen hinauf und klingelte.
    Die schwere Tür öffnete sich knarrend. Ein strenges Gesicht unter einem weißen Spitzenhäubchen spähte heraus.
    »Ja, Kleines?«, fragte die alte Frau.
    »Ich möchte zu Cora.«
    Die Frau – vermutlich die Haushälterin – zog eine Augenbraue hoch. »Wer sind Sie?«
    »Ich heiße Beattie. Ich bin mit ihr befreundet. Bitte. Ich möchte nur kurz mit ihr sprechen.«
    »Warten Sie hier«, sagte die Haushälterin und schloss die Tür.
    Die Zeit verging. Was ihr wie Stunden vorkam, waren in Wirklichkeit wohl nur zehn Minuten. In der Ferne hörte sie den Verkehrslärm; für alle anderen Leute begann ein ganz normaler Tag. Beattie glaubte schon, man habe sie vergessen, doch dann ging die Tür wieder auf, und Cora stand vor ihr.
    »Du lieber Himmel, Beattie Blaxland. Es ist erst neun.«
    »Es tut mir leid, hoffentlich habe ich dich nicht geweckt. Ich wusste nicht, zu wem ich sonst gehen sollte.«
    »Egal. Du siehst schrecklich aus. Hast du etwas gegessen? Ich könnte dir Tee machen.«
    »Ich …« Beattie holte so tief Luft, dass ein Schauer sie überlief. Sie wollte nicht weinen. »Tee wäre gut.«
    »Komm herein. Vorsicht, Stufe. Du bist gar nicht geschminkt. Siehst aus wie der Tod. Soll ich dir einen Lippenstift holen?« Cora plapperte weiter, während sie Beattie durch eine große Eingangshalle in ein mit Parkett ausgelegtes Wohnzimmer führte. Die Fenster reichten bis zum Boden. »Setz dich. Ich hole dir Tee, und dann kannst du mir erzählen, worum es geht.«
    Beattie wartete ungeduldig in dem stillen, sonnigen Zimmer und rang nervös die Hände. Es war, als betrachtete sie sich selbst von außen. Das alles konnte nicht real sein. Sie schaute auf ihre dünnen Handgelenke und kam sich ungeheuer jung vor. Es waren die Handgelenke eines Kindes. Als Cora zurückkam, rauchte sie eine Zigarette und hatte ein Tablett dabei, das sie geschickt abstellte und von dem sie Beattie starken schwarzen Tee eingoss.
    Beattie trank einen Schluck und verbrühte sich die Zunge.
    »Worum geht es? Ich dachte, du hättest genug von mir«, sagte Cora mit einem niedlichen Schmollen. »Wie du mich auf der Party stehengelassen hast. Du bist gar nicht mehr in den Club zurückgekommen.«
    »Henry hat gesagt, ich soll wegbleiben.«
    »Wieso?«
    »Wegen des Babys.«
    »Des …« Ihr Blick wanderte zu Beatties Bauch, dann machte sie große Augen. »Du lieber Himmel, Beattie, du bist doch nicht immer noch schwanger! Ich dachte, du wärst das Kleine längst losgeworden. Du hattest es gar nicht mehr erwähnt.«
    Beattie konnte nur die Lippen zusammenpressen und den Kopf schütteln.
    »Was ist denn passiert? Ist er zu dir gekommen? Kümmert er sich um dich?«
    »Das hat er mir versprochen, aber ich habe nichts von ihm gehört. Seine Frau …«
    »Eine ausgemergelte alte Kuh, die selbst keine Kinder bekommen kann. Die sollte ihn ziehenlassen.« Cora legte ihr schützend den Arm um die Schultern. »Wie kann ich dir helfen?«
    »Ma hat mich rausgeworfen. Ich weiß nicht, wohin ich gehen soll. Zu Henry? Aber ich will ihm das Leben nicht schwermachen …«
    »Warum nicht? Er macht es dir doch auch schwer.« Mit der freien Hand drückte Cora ihre halbgerauchte Zigarette aus. »Nein, geh nicht zu Henry. Er wird dich nicht gut behandeln.«
    »Er ist nicht so übel. Er ist ein guter Mensch, er …«
    Cora brachte sie mit einer Handbewegung zum Schweigen. »Es gibt zwei Arten von Frauen, Beattie. Die einen tun Dinge, und den anderen tut man Dinge an. Du solltest versuchen, zur ersten Gruppe zu gehören.« Sie lehnte sich zurück und sah Beattie in die Augen. »Ich kenne da etwas in Nordengland. Eine Freundin meiner Tante führt das Haus. Mädchen wie du bekommen dort ihr Baby und geben es zur Adoption frei. Du könntest Weihnachten zurück in Glasgow sein, als wäre nichts passiert. Ich kann es für dich organisieren.«
    Beattie dachte fieberhaft nach. Cora bot ihr alles, was sie wollte: ein Dach über dem Kopf,

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