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Der Wind der Erinnerung

Der Wind der Erinnerung

Titel: Der Wind der Erinnerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kimberley Wilkins
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Trost, eine Befreiung von der Verantwortung, Mutter zu werden. Doch Beattie hatte sich verändert. Im Laufe der Wochen, als ihr Schicksal unabänderlich wurde, war in ihr eine unerwartete Zuneigung zu dem Kind entstanden. Sie band sie wie eine seidene Schnur an das Baby. Sie gehörten zusammen, oder?
    Cora runzelte die Stirn. »Du hast doch wohl hoffentlich nicht die alberne Vorstellung, das kleine Ding zu behalten?«
    Sie war verzweifelt. Entweder befolgte sie Coras Rat oder stand vor dem Ruin. Sie zwang sich zu einem leichten Ton. »Natürlich nicht. Ich habe es nie gewollt.«

[home]
    Vier
    D urch das reifüberzogene Fenster des Zimmers in Morecombe House blickte Beattie auf die Dächer, die die Sicht auf das Meer verbargen. An jedem Dienstagnachmittag wurden die vierzehn Mädchen, die hier wohnten, an den Strand geführt, immer spät, um möglichst wenige Menschen durch den Anblick so vieler unanständiger Schwangerschaften zu brüskieren. Dort sammelten sie Muscheln in ihren Handtaschen und standen bis zu den Knöcheln im beißenden Meerwasser. Sie nahmen tiefe Atemzüge, um bis zum nächsten Ausflug von ihnen zu zehren.
    Beattie hätte gern das Fenster geöffnet, um etwas freier atmen zu können, doch es war zugenagelt. Auf dem Dach gegenüber ließ sich eine Möwe vom Wind, der an jedem Abend vom Meer herüberwehte, das Gefieder zerzausen. Sie legte die Hand auf ihren Bauch. Das Kind in ihr zappelte und trat.
    Es war nicht mehr ihr Kind. Die Oberin hatte erklärt, dass man bereits eine Familie für das Baby gefunden habe, ein anständiges christliches Ehepaar aus Durham, das bereits zwei Töchter adoptiert hatte und nun auf einen Sohn hoffte. Die Oberin hatte ihr dies in strengem Ton mitgeteilt, es klang fast wie eine Warnung, die Leute bloß nicht mit einem Mädchen zu enttäuschen. Beattie versuchte, nicht darüber nachzudenken, ob das Baby ein Junge oder ein Mädchen war. Solche Gedanken ließen es zu wirklich erscheinen, es ging ihr zu nahe. Wenn sie das Kind aufgeben musste, hatte es keinen Sinn, sich Einzelheiten auszumalen.
    Was würde sie jetzt für den Trost ihrer Mutter geben. Für die Weisheit ihres Vaters. Sie war kurz davor, ein Kind zu gebären, und fühlte sich selbst immer noch als Kind. Jung und verängstigt, voller Sehnsucht nach Trost. Aber hier in Morecombe House gab es das nicht. Nur tägliche, in eiskaltem Ton vorgetragene Lektionen darüber, wie sehr sie sich schämen musste.
    Beattie wandte sich vom Fenster ab und griff nach einem Buch. Etwas anderes als die Bibel und die Klassiker duldete die Oberin nicht. Erstere wollte Beattie nicht lesen, Zweitere langweilten sie zumeist, doch sie hatte einen Roman von Charles Dickens entdeckt, der sie fesselte. Sie legte sich aufs Bett und versuchte zu lesen.
    Das Zimmer war klein und würde im Herbst, wenn ihr Baby geboren wurde, sehr kalt sein. Keine Teppiche auf dem Boden, keine Tapete oder Bilder, um die kahlen, steinernen Mauern aufzulockern. Zwischen ihnen wanderte sie gleichgültig von der Morgenarbeit zum Mittagessen, vom Werkunterricht zum Abendessen. Ihr Bett war ordentlich gemacht, während bei Delia ein Chaos aus Laken und Decken herrschte. Delia war seit drei Wochen ihre Zimmergenossin. Gestern um Mitternacht hatte man sie eilig aus dem Zimmer geholt. Sie stöhnte und schrie, stand kurz vor der Niederkunft. Im Halbschlaf hatte Beattie seltsame Träume von Blut und Tod und weinenden Kindern gehabt. Ihre Nerven waren aufs äußerste gespannt. Sie konnte sich nicht auf die Zeilen konzentrieren.
    Dann flog die Tür auf, und Beattie erblickte Delia, die ein verwaschenes Kleid trug, dessen Gänseblümchenmuster ganz grau war.
    »Du bist zurück?«
    Delia lächelte schwach. Ein Lächeln, das sich über einen dunklen Abgrund spannte. »Alles erledigt.«
    Beattie warf einen Blick auf ihren Bauch, der rund und reif gewesen war. Jetzt wölbte er sich nur noch sanft unter dem Kleid. »Du hast …«
    »Es ist vorbei«, sagte sie düster. »In einer Woche bin ich hier raus.«
    »Und das Baby?«
    »Habe ich nicht gesehen. Sie hielten mir … eine Decke … vors Gesicht.« Delias Lächeln erstarb. »Ich weiß nicht mal, ob es ein Junge oder ein Mädchen war.« Sie setzte sich behutsam aufs Bett und legte sich hin.
    Beattie verspürte einen Stich im Herzen. »Hast du es gehört?« Sie rutschte zu Delia hinüber und strich ihr das Haar aus dem Gesicht.
    »Ein leises Geräusch, wie eine Katze.« Das Lächeln war wieder da. »Es ist vorbei, und ich

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