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Der Wind der Erinnerung

Der Wind der Erinnerung

Titel: Der Wind der Erinnerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kimberley Wilkins
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sich. Sie eilte über den Sand und warf sich so heftig gegen ihn, dass sie fürchtete, er könne umfallen. Aber nein, er war stark und fest wie ein Fels.
    »Ich dachte, du würdest nie kommen.«
    »Du warst auf einmal verschwunden! Deine Eltern wussten von nichts. Schließlich hat Cora es mir gebeichtet. Das werde ich ihr nie verzeihen.«
    Der Regen durchnässte sie, aber sie hielten einander fest umklammert. Schließlich trat er zurück. »Schnell, man wird uns sehen. Komm mit, ich bin mit Teddys Auto da.«
    Sie sah sich um. Natürlich würde man ihr Fehlen bemerken. Die Oberin würde jemanden nach ihr schicken. Henry legte den Arm um sie und eilte mit ihr zum Auto.
    Sie tropfte den Sitz voll, während der Regen aufs Dach trommelte. Henry wandte sich zu ihr und fixierte sie mit seinen grauen Augen. Ihr Puls dröhnte in ihren Ohren. Sie wagte nicht, etwas zu sagen.
    »Geh mit mir weg«, sagte er. Bildete sie es sich nur ein, oder roch sein Atem nach Gin?
    »Wie meinst du das?« Aber es war schon zu spät. Er hatte die Worte ausgesprochen, nach denen sie sich sehnte, die sie sich nicht auszumalen wagte.
    »Ich habe Billy in Australien telegrafiert. Er besorgt mir eine Stelle.«
    Schwindel überkam sie.
    »Wir können zusammen sein.«
    »Deine Frau …« Sie rang nach Luft.
    »Ich liebe sie nicht. Ich liebe dich. Ich liebe unser Kind. Sie wird uns niemals finden. Ich habe eine Kabine auf einem Frachter organisiert, der in acht Tagen von London ablegt. Ich habe vierzig Pfund in der Tasche. Kommst du mit mir? Jetzt? Nach London?«
    Der stürmische Regen ließ nach. Beattie blickte ihn an, während die Gedanken durch ihren Kopf wirbelten: Sie würde Cora im Stich lassen, nachdem sie ihr so sehr geholfen hatte. Sie würde weit weg von zu Hause sein. Sie würde ihre Eltern nie wiedersehen … Keiner dieser Gedanken schlug Wurzeln in ihr, denn sie wusste tief in ihrem Inneren, dass sie mit Henry weggehen wollte. Und diese Sehnsucht war stärker als alles andere.
    »Ja, lass uns fahren.«
     
    Der Abend zog vor den Fenstern des kleinen Hotelzimmers in Bayswater herauf. Beattie hielt nach Henry Ausschau; er kam zu spät. Und wann immer er zu spät kam, fragte sie sich, ob sie das Richtige tat. Sicher war es nicht gut, wenn sie an ihm zweifelte, sobald er einmal nicht an ihrer Seite war.
    Im Nebenzimmer pfiff jemand »Bye Bye Blackbird«, sie konnte es durch die dünnen Wände hören. Die fröhliche Melodie stand im Gegensatz zur Kälte des Zimmers, der hereinbrechenden Dunkelheit, der düsteren Vorahnung, die ihr Herz erfüllte.
    Morgen würden sie mit einem Frachter ablegen, der gerade genügend Platz für zwei Passagiere bot und auf dem sich kein Steward um sie kümmern würde. Henry musste Reinigungsarbeiten übernehmen, um für die Überfahrt zu bezahlen. Sie würden einen Zwischenstopp in Indien einlegen und erst in acht Wochen Hobart erreichen.
    Acht Wochen auf See. Wenn sie nicht gerade müde und voller Zweifel war, erschien es ihr wie ein Abenteuer. In diesem Moment aber war es eine gewaltige Bedrohung.
    Was Henry ihr alles versprochen hatte! Ewige Liebe. Ihren Sohn gemeinsam aufzuziehen (natürlich würde es ein Junge, ein kleiner Henry). Ein neues Leben in einer neuen Welt. Sie würden als Mann und Frau auftreten. Sie würde sich nicht mehr Beattie Blaxland, sondern Mrs. Henry MacConnell nennen. Sie würde Kinder bekommen, während er hart arbeitete und Geld nach Hause brachte. Sie würden ein kleines Häuschen haben und gemeinsam alt werden.
    Doch in dieser Symphonie gab es zu viele falsche Töne. Er würde mit Billy Wilder zusammenarbeiten. Seine Frau würde sie aufspüren. Und er hatte sich bis jetzt nicht dazu durchringen können, während der Schwangerschaft mit ihr zu schlafen.
    »Es hat nichts zu sagen«, murmelte er, wenn er ihre Annäherungsversuche sanft zurückwies. »Du siehst nur anders aus als sonst. Nicht wie meine Beattie. Wenn das Kind geboren ist, wird alles wie früher.«
    Wäre Henry nicht zu ihr gekommen, würde sie genau wie all die anderen Mädchen in Morecombe House auf die Geburt warten und das Kind weggeben. Sie legte die Hände um ihren Bauch. Warum konnte sie diesem furchtbaren inneren Zwiespalt nicht entkommen? Gerade noch wollte sie Henry, das Baby, das neue Leben. Dann wieder nicht. Sie wollte am liebsten alles ungeschehen machen. Aber das war unmöglich.
    Dann kam er lässigen Schrittes die Straße entlang. Er hatte die letzten Vorbereitungen für die Reise getroffen und bei einer

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