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Der Wind über den Klippen

Der Wind über den Klippen

Titel: Der Wind über den Klippen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Lehtolainen
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waren bereits da, auch Taskinen.
    »Guten Morgen. Vielen Dank, Lähde, dass du allen Bescheid gesagt hast. Wie ihr sicher wisst, hat sich Pertti Ström gestern Abend das Leben genommen. Pertti war kein bequemer Kollege, wir haben wohl alle gelegentlich mit ihm gestritten. Aber seine Arbeit hat er immer getan, wenn er dabei auch manchmal andere Wege gegangen ist als wir. Die Situation ist gerade deshalb schwierig für uns, weil unsere Gefühle gegenüber Pertsa widersprüchlich sind. Deshalb fühlen wir uns wahrscheinlich alle mitschuldig an seinem Selbstmord. Der Psychologe kommt heute Nachmittag um zwei, macht eure Nachmittagstermine rückgängig. Wir werden das Geschehene unter seiner Regie durchsprechen.«
    Meine Stimme war belegt. Ich räusperte mich und schaute meine Kollegen an, die heute fast alle Trauerkleidung trugen: Einige waren im dunklen Anzug gekommen, Koivu in schwarzen Jeans und schwarzem Pullover. Nur Wang stach in ihrem dunkelroten Hosenanzug von den anderen ab.
    »Pertsa hat zwei Briefe hinterlassen, von denen einer an uns, seine engsten Mitarbeiter, gerichtet ist. Eine Kopie wird im Lauf des Vormittags allen zugehen. In diesem Brief äußert er den Wunsch, wir möchten uns nicht an ihm rächen, indem wir eine großartige Beerdigung veranstalten. Darüber haben seine Angehörigen zu entscheiden. Ich bitte nun um eine Minute stilles Gedenken an Hauptkommissar Pertti Ström.«
    Alle senkten den Kopf. Puupponen bemühte sich, das Niesen zu unterdrücken, Lähde schluckte. Ich konnte immer noch nicht weinen. Nach der Schweigeminute zog ich die Lagebesprechung durch wie immer. Die einzige neue Entwicklung betraf die Betriebswirtin Haataja, die mit ihrem Toomas auf der estnischen Insel Ösel gesichtet worden war. Den Rest des Vormittags schlug ich mich mit der Personalabteilung herum. Dort versuchte man nämlich, die Sparzwänge mit der Behauptung zu kaschieren, es sei pietätlos, Ströms Stelle auszuschreiben, bevor er unter der Erde lag. Ich bestand darauf, dass man mir bis Montag eine Vertretung besorgte. Dann wies ich den Putzdienst an, Pertsas Sachen aus dem Büro zu räumen, das er mit Lähde geteilt hatte. Ich sprach mit seinem Bruder über die Beerdigung und versuchte ihn davon zu überzeugen, dass Pertsa kein Spalier uniformierter Polizisten in der Kirche gewollt hätte. In der Trauersitzung des Psychologen hörte ich hauptsächlich den anderen zu. Als ich nach meinen Gefühlen gefragt wurde, sagte ich nur, ich sei verwirrt und traurig.
    Zu Hause spielte ich mit Iida, als wäre nichts vorgefallen.
    Antti versuchte, über Ström zu sprechen, aber ich wehrte ab. In der Dämmerung gingen wir spazieren, ich las bunte Ahornblätter auf und dekorierte Iidas Zimmer damit.
    Nachdem Iida eingeschlafen war, setzte ich mich vor den Fernseher und zappte mich durch die Programme. Im Ersten sang Jorma Hynninen Schuberts »Winterreise«. Antti setzte sich zu mir und legte behutsam die Arme um mich. Der warme, melancholische Bariton sang federweiche und zugleich schmerzerfüllte Intervalle, Ralf Gothonis Klavierspiel fügte hinzu, was mit Worten nicht auszudrücken war. Die Musik durchströmte mich wie Medizin. Im zwanzigsten Lied, »Wegweiser«, erkannte ein an seinem Leben zweifelnder, in der Liebe enttäuschter Mann, dass er bald jenen Weg einschlagen würde, von dem es keine Wiederkehr gab. Da begann ich zu weinen, und die Tränen wollten kein Ende nehmen.
    Fünfzehn
    Am Freitagmorgen meldete die litauische Polizei, Vitalis Ramanauskas und Imants Peders seien vor zwei Jahren ausge-wandert. Sie hatten eine vorläufige Adresse in Nizza angegeben, wo sie jedoch nicht gemeldet waren. Ramanauskas und Peders waren ehemalige Offiziere der sowjetischen Marine und damals für die Wartung von Kriegsschiffen, Flugzeugträgern und Kanonenbooten zuständig gewesen. Nachdem Litauen unabhängig geworden war, hatten die Männer zwischen der Roten Armee und ihrem eigenen Staat wählen müssen und offenbar weder der einen noch dem anderen mehr angehören wollen.
    Wie betäubt starrte ich auf das Fax aus Litauen. Hatte Juha Merivaara der sowjetischen Marine ökologische Bootslacke verkauft? Wohl kaum. Welche Funktion hatte die Mare Nostrum? Ohne große Hoffnung auf Erfolg bat ich die litauischen Kollegen per Fax um nähere Informationen über die spezifischen Aufgaben von Peders und Ramanauskas in der Marine. Außerdem schickte ich eine Suchmeldung an die Polizei in Nizza und an Interpol. Ich war immer mehr davon überzeugt,

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