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Der Wind über den Klippen

Der Wind über den Klippen

Titel: Der Wind über den Klippen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Lehtolainen
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zehn Jahren gewesen war, eine junge eifrige Polizistin, die geglaubt hatte, die Welt gerechter machen zu können. Ein Teil von mir hielt wohl immer noch an dieser Überzeugung fest, obwohl ich im Lauf der Jahre zu oft erlebt hatte, wie Schuldige vor Gericht freigesprochen wurden.
    Ab und zu spielte ich mit dem Gedanken, wieder als Juristin zu arbeiten, um auf die Urteilssprechung Einfluss nehmen zu können, doch die Aufgabe der Juristen schien heutzutage eher darin zu bestehen, Paragraphen auszuspielen, als Gerechtigkeit walten zu lassen.
    »Ich verstehe deine Situation. Was schlägst du vor?«
    »Dass Pekka und ich tauschen. Ich würde die Vergewaltigung in Leppävaara übernehmen und er meinen Fall. Wir haben schon darüber gesprochen.«
    Ich nickte. Der Fall war schwierig, so viel hatte ich den Akten entnommen. Ismael El Haj Assad war der Mittelsmann zwischen der finnischen Shell-Niederlassung und dem saudiarabischen Konzern Musoil, ein internationaler Topmanager, der es als ungeheuerlich empfand, dass sich die finnische Polizei in seine Familienangelegenheiten einmischte. Als islamischer Funda-mentalist war er der Überzeugung, Frauen gehörten ins Haus und hätten sich zu verschleiern. Die Espooer Schulbehörde hatte sanften Druck ausüben müssen, damit Amal die gesetzlich vorgeschriebene neunte Klasse besuchen durfte.
    Hätte ich mich darüber aufregen sollen, dass Koivu und Wang ihr Tauscharrangement hinter meinem Rücken vereinbart hatten? Nein, das wäre dumm gewesen. El Haj Assad verdiente eine Anklage, obwohl Amals Leben dadurch vermutlich nicht leichter wurde. Über die Folgen nachzudenken, war nicht Aufgabe der Polizei.
    »Hältst du mich jetzt für einen Loser?«, fragte Wang.
    Ich schüttelte den Kopf und erzählte ihr zum Trost einige Ereignisse aus meinen ersten Jahren im Polizeidienst, als ich des öfteren nicht ernst genommen wurde.
    »Eine dumme Frage: Was hat dich eigentlich bewogen, zur Polizeischule zu gehen?«
    Anu grinste. »Das, was andere dazu bringt, Graffiti zu sprühen oder Drogen zu nehmen: Aufmüpfigkeit. Ich wollte mich von der Kultur meiner Eltern lösen, und was könnte finnischer sein als eine Polizistin? Meine beste Freundin und ich haben uns an der Polizeischule in Tampere beworben, damit wir während des Studiums nicht zu Hause zu wohnen brauchten. Ich wurde angenommen, Nina nicht.«
    »Welchen Beruf hatten deine Eltern denn für dich vorgesehen?«
    Wie eigenartig, dass Anu mit ihrer Berufswahl gegen ihre Eltern aufbegehrte, genau wie ich damals.
    »Ärztin oder Architektin, ich hatte das Abitur mit Eins bestan-den. Ich habe versucht, ihnen klar zu machen, dass ich als Polizeibeamtin Einfluss darauf nehmen kann, wie unsere Leute hier behandelt werden. Ich zum Beispiel werde mal für eine Thai-Masseuse gehalten, mal für die philippinische Frau eines Bauern. Manchmal bereue ich es fast, dass ich nicht mehr bei der Schupo bin, die Uniform hat mir immerhin ein bisschen Autorität verliehen.«
    Sie sah auf die Uhr und bedankte sich für die Erlaubnis, mit Koivu zu tauschen. Die Tür hatte sich schon fast hinter ihr geschlossen, als sie noch einmal zurückkam.
    »Wegen Pekka … Mach dir keine Sorgen, ich mag ihn wirklich.«
    »Ich mag Pekka auch«, sagte ich ein wenig stockend, denn es war ungewohnt, Koivu beim Vornamen zu nennen. »Er ist wie ein Bruder für mich. Ich würde mich freuen, dich zur Schwägerin zu bekommen.«
    »Mal sehen.« Sie lächelte, dann schloss sich die Tür hinter ihr, und ich war wieder allein mit meinen Gedanken.
    Wenn, wenn, wenn. Wenn ich versucht hätte, mit Pertsa zu reden …
    Um den beklemmenden Gedanken zu entfliehen, rief ich bei Birdlife an, dem Dachverband der ornithologischen Vereine Finnlands, um mich zu erkundigen, wohin Harri die tote Eiderente von Rödskär gebracht haben konnte.
    Der Birdlife-Vertreter war freundlich, er hatte Harri gekannt.
    Er tippte auf das Institut für Veterinärmedizin und Lebensmittelhygiene, das auch das mysteriöse Vogelsterben untersuchte, das sich im Hochsommer in Suomenoja zugetragen hatte. Ich beauftragte Puustjärvi mit den weiteren Nachforschungen, obwohl er murrte, er hätte nie gedacht, dass er eines Tages die Leiche einer Eiderente suchen müsse. Dann blätterte ich weiter in Harris Akte. Sie enthielt verschiedenstes Material, unter anderem das Mitgliederverzeichnis des ornithologischen Vereins Tapiola, dem Harri angehört hatte.
    Auf der Liste stand auch Tapio Holmas Name.
    War Holmas Behauptung, er habe

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