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Der Wind über den Klippen

Der Wind über den Klippen

Titel: Der Wind über den Klippen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Lehtolainen
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aufrichtig Leid, Pertti hat sich vor etwa einer Stunde erschossen. Als wir eintrafen, konnten wir nichts mehr für ihn tun.«
    Eine Weile starrte sie uns nur an. Sie musste die Lippen be-feuchten, bevor sie sprechen konnte.
    »Erschossen, so. Eigentlich überrascht mich das nicht. Damit hat er schon damals gedroht, als ich ihn verlassen habe. Aber warum gerade jetzt?«
    »Er war vorläufig vom Dienst suspendiert worden, weil er einen Verdächtigen bei der Vernehmung geschlagen hatte.«
    »Davon wusste ich nichts, wir sind erst vorgestern Abend von unserer Hochzeitsreise nach Lanzarote zurückgekommen. Die Kinder hatten wir mitgenommen.« Als sie sich zur Tür umwand-te, sah ich, dass sie schwanger war, etwa im sechsten Monat, schätzte ich. »Sie sollten das nächste Wochenende bei Pertti verbringen. Wie soll ich ihnen das erklären?«
    »Möchtest du, dass wir …«
    Sie schüttelte den Kopf, nein, sie wolle es ihnen selbst sagen.
    Ich fragte nach Ströms Angehörigen. Sein Bruder wohnte mit seiner Familie in Tikkurila, der Vater in Vammala, die Mutter war vor drei Jahren an Krebs gestorben. Auch das hatte ich nicht gewusst, es war kurz vor meinem Dienstantritt bei der Espooer Polizei geschehen. Ich erzählte ihr von Perttis Wunsch, keine aufwendige Beerdigungsfeier zu veranstalten, und gab ihr den an Jani und Jenna gerichteten Brief. Sie las ihn, brach in Tränen aus und legte die Arme um den Leib, wie um sich vor der Kälte zu schützen, die durch die offene Tür ins Haus zog. Wir standen immer noch im Windfang, sie hatte uns nicht hereingebeten.
    »Was ist denn los?« Der Mann, der nun an die Tür kam, musste Kai Hirvi sein. Ich zuckte zusammen, denn mit seiner stämmigen Figur und der unreinen Haut sah er Pertsa verblüf-fend ähnlich. Er legte seiner Frau einen Arm um die Schultern und funkelte uns böse an, als wären wir Sektierer, die von Haus zu Haus gehen und die Leute zum Weinen bringen. Als Marja ihm berichtete, was passiert war, machte er ein betroffenes Gesicht.
    »Komm, wir müssen es den Kindern sagen«, stammelte er.
    »Marja, wir sprechen später über die Beerdigung. Sag Jani und Jenna, wenn sie über ihren Vater und seinen Selbstmord reden wollen, stehen wir Kollegen jederzeit zur Verfügung.«
    Ich gab ihr meine Visitenkarte, dann zogen wir uns zurück.
    »Kommst du klar?«, fragte ich Puupponen, als wir zu unseren Autos gingen.
    »Wieso nicht? Ich hab den Kerl doch gehasst.« Er wischte sich die triefende Nase am Handrücken ab. »Allerdings … dass er sich den Kopf wegpustet, hätte ich nicht einmal ihm gewünscht.
    Bis morgen«, sagte er und schloss seinen Wagen auf.
    »Wir fangen um acht mit der Besprechung an. Bis dann!«
    Ich holte tief Luft, dann setzte ich mich ans Steuer. Auf dem Heimweg fuhr ich sehr langsam, als könnte ich meine Raserei vor ein paar Stunden damit ungeschehen machen. Maritas Wagen stand auf dem Hof. Hoffentlich hatte Antti ihr nicht gesagt, worum es bei meinem Einsatz ging, denn ich hatte jetzt nicht die Kraft, mit ihr über Pertsa zu reden.
    Die Dunkelheit und der Geruch der modernden Blätter wirkten tröstlich. Ich atmete tief ein, eins, zwei, drei. Es war Vollmond und sehr still, die Espenblätter fielen einzeln ab, als zelebrierten sie ein uraltes Ritual. Ich schaute ihnen so lange zu, bis ich ruhig genug war hineinzugehen.
    Noch am nächsten Morgen wunderte ich mich, wie ich es fertig gebracht hatte, mit Anttis Schwester zu plaudern, als wäre nichts geschehen. Hauptsächlich hatten wir über Iida gesprochen und sie mit Maritas inzwischen elfjährigen Zwillingen Matti und Mikko verglichen. Dabei hatte ich mich bemüht, nicht zu zeigen, wie sehr ich darauf wartete, dass Marita ging. Schon kurz nach acht hatte ich Iida den Schlafanzug angezogen und geschwindelt, sie lasse sich leichter zu Bett bringen, wenn kein Besuch im Haus sei. Nachdem meine Schwägerin gegangen war, hatte ich Iida statt einer Gutenachtgeschichte drei vorgele-sen und mich gewundert, dass ich nicht weinen musste.
    Schließlich hatte ich ein halbes Wasserglas Anisschnaps getrunken und eine Schlaftablette genommen und war eingeschlafen, bevor Antti nach Hause kam.
    Am Morgen zog ich ein schlichtes schwarzes Kostüm an, das ich im Frühjahr zur Beerdigung von Anttis Onkel gekauft hatte.
    Ich frühstückte, obwohl ich keinen Hunger hatte, und überlegte auf der Fahrt, wie das Dezernat nach Pertsas Tod umstrukturiert werden sollte. Eine Minute nach acht betrat ich den Besprechungsraum. Alle anderen

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