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Der Wind über den Klippen

Der Wind über den Klippen

Titel: Der Wind über den Klippen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Lehtolainen
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dass Juha hinter der gediegenen Fassade der Merivaara AG
    dunkle Geschäfte getrieben hatte. Vielleicht war Harri ihm auf die Spur gekommen und deshalb ermordet worden? Was hatte Seija Saarela noch gleich gesagt? Harri wollte eine tote Eiderente aufs Festland bringen und untersuchen lassen. Aber wo? Im Institut für Biologie der Universität Helsinki? Aber wenn es zwischen Harris und Juhas Tod eine Verbindung gab, musste jemand von Juhas Machenschaften gewusst haben. Jiri oder Anne? Handelte es sich überhaupt in beiden Fällen um denselben Täter? Vielleicht hatte Juha Harri ermordet?
    Ich schaltete den Computer ein und klickte mich voran, bis ich die Homepage der Merivaara AG auf dem Bildschirm hatte. Die Firma hatte ein Ökozertifikat der EU beantragt, das erst nach mehrjährigen strengen Produkttests verliehen wurde. Unter diesen Umständen hätte Juha Merivaara es eigentlich nicht riskieren können, mit einer dubiosen Tochterfirma in Verbindung gebracht zu werden. Oder hatte er sich darauf verlassen, dass sich niemand die Mühe machen würde, die Mare Nostrum genauer unter die Lupe zu nehmen? Das konnte ich nicht recht glauben.
    Ich stützte den Kopf in die Hände, die Augen wollten mir zufallen. Trotz meiner juristischen Ausbildung hatte mich der Bereich der Wirtschafts- und Unternehmenskriminalität nie besonders interessiert. Lieber befasste ich mich mit zwischenmenschlichen Beziehungen, durchleuchtete komplizierte Familienverhältnisse, verschaffte mir ein Bild von der Hierarchie unter Schnapsbrüdern oder vom Machtgefüge verfeindeter Jugendbanden. Geld war kalt und ausdruckslos, es hatte keine Vergangenheit und keine Gefühle, auch wenn es die Gemüter der Menschen erhitzte. Geld hatte nur einen Zweck: sich zu vermehren.
    Also beschloss ich, noch einmal über Juha Merivaara als Mensch nachzudenken, nicht als Akteur im undurchsichtigen Spiel der Mare Nostrum. Was für ein Mensch war Juha gewesen? Ein achtjähriger Junge, der miterlebte, wie seine Mutter von einer langsam voranschreitenden Krankheit dahingerafft wurde, ein junger Mann, der von Geburt an ausersehen war, eines Tages das Familienunternehmen zu leiten. Ein Mann, der seine Frau betrog, seiner Sekretärin unsittliche Anträge machte und seinen Sohn zu seinem Ebenbild erziehen wollte. Was war Juha Merivaara wichtig gewesen – die Familie, die Natur, ein guter Ruf im Geschäftsleben, Geld?
    Doch es gelang mir nicht, Juha Merivaara auch nur in Umris-sen zu skizzieren, denn vor sein Bild schob sich immer wieder das eines anderen Mannes. Ebenso groß und stämmig, aber ungepflegter, bärbeißiger. Schon in der letzten Nacht hatte er mich so bedrängt, dass der Schlaf sich nicht zu mir gewagt hatte.
    Die Kollegen hatten sich gewundert, als ich Ströms Schreibtisch so überstürzt räumen ließ, nicht einmal Koivu war auf den Gedanken gekommen, der Anblick seines Namensschildchens und des penibel aufgeräumten Schreibtisches könnte mir wehtun.
    Meist hatte ich Ström gehasst, seinen Rassismus und Chauvi-nismus, sein Misstrauen gegenüber allem Neuen und Unbekannten, seinen Umgang mit anderen Menschen. Ich wusste immer noch nicht, ob ich ihn je gemocht hatte, ich erinnerte mich an zu viele Konflikte und Gemeinheiten.
    Aber ich erinnerte mich auch an seine gelegentliche Freundlichkeit, an die unbeholfenen Versuche, sich mit mir über den Verlauf meiner Schwangerschaft und über Iidas Entwicklung zu unterhalten, an die Anrufe während meines Mutterschaftsurlaubs, für die er sich immer wieder neue Vorwände ausgedacht hatte, und schließlich an seine Wutausbrüche, wenn ich unbedacht mein Leben aufs Spiel setzte. Zumindest bei diesen Gelegenheiten hatte Ström Recht gehabt.
    In gewisser Weise war es eine Erleichterung, nicht mehr mit ihm zusammenarbeiten zu müssen, wahrscheinlich würde das Arbeitsklima im Dezernat besser werden. Und doch quälte mich ein Schuldgefühl, es pikste wie eine aufgesprungene Sicher-heitsnadel. Natürlich war es ganz richtig gewesen, dass nicht Ström, sondern ich zur Dezernatsleiterin ernannt worden war, ich erledigte den Job besser als er. Aber dass man ihm angeboten hatte, mich im Mutterschaftsurlaub zu vertreten, war ein dummer Fehler gewesen, das hätte man anders regeln müssen.
    Und das Alkoholproblem – warum hatte ich nicht energischer eingegriffen? Warum hatte ich mir eingeredet, es werde sich von selbst erledigen, wenn ich Pertsa Zeit ließ, sich mit meiner Rückkehr in den Dienst abzufinden? Warum hatte ich ihn

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