Der Wind über den Klippen
hier?«
»Ich habe einen Zeugen nach Hause gefahren, weil er kein Busgeld hatte, und auf dem Rückweg hab ich es über Funk gehört. Da musste ich einfach herkommen …«
»Gut, dass du hier bist. Ströms Exfrau und die Kinder müssen benachrichtigt werden. Als unmittelbare Vorgesetzte übernehme ich das natürlich, aber es wäre leichter, wenn jemand mitkommt.
Hast du Zeit?«
Puupponen nickte und zog ein Taschentuch hervor. Er war noch blasser als sonst, nur die Nase war leuchtend rot und geschwollen, doch das kam sicher nur vom Schnupfen.
»Großartige Untersuchungen brauchen wir wohl nicht anzustellen, der Fall ist ja völlig klar«, sagte Hakkarainen von der Technik unschlüssig.
»Das schon, aber zieht die ganze Routine durch, damit keinerlei Unklarheiten bleiben. Von mir aus kann Pertsa abtransportiert werden, sobald ihr fertig seid. Hat schon jemand Lähde auf dem Präsidium informiert?«, wandte ich mich an einen der Streifenbeamten. Da er verneinte, wählte ich Lähdes Nummer.
»Maria hier. Wir sind leider zu spät gekommen. Ström hat sich unmittelbar nach dem Anruf erschossen.«
»Er ist tot?« In Lähdes Stimme schwang Entsetzen. »Um Himmels willen …«
»Genau. Würdest du Taskinen bitten, morgen früh an der Dezernatsbesprechung teilzunehmen? Die wird diesmal ein wenig anders ausfallen …«
Die Sanitäter brachten eine Bahre und legten Ström darauf.
Auf dem Sofa blieben die blutigen Umrisse seines Körpers zurück. Ich überlegte, wer die Wohnung putzen würde, und stellte fest, dass ich von Ströms Angehörigen, von Geschwistern oder Eltern, nichts wusste, obwohl ich jahrelang mit ihm zusammengearbeitet hatte. Der Leichnam, über den nun ein Tuch gebreitet wurde, wirkte zu grobschlächtig für die schmale Bahre. Haikala nahm die Uniformmütze ab, als Ström hinausge-tragen wurde.
»Warum zum Teufel hat der Idiot …« Puupponens Stimme zitterte. Wortlos reichte ich ihm die Schutzhülle mit dem an uns adressierten Brief.
»Wäre er wirklich gefeuert worden?«, fragte er, nachdem er Pertsas Zeilen gelesen hatte. Ich wusste es nicht. Aber selbst wenn – sich deshalb das Leben zu nehmen, erschien mir unverständlich. Andererseits war mir klar, dass anhaltender Alkoholmissbrauch den Blick verzerren konnte. Ich übergab Hakkarainen den Brief und bat ihn, mir bis zum nächsten Morgen eine Kopie zukommen zu lassen. Dann gab ich Puupponen das Zeichen zum Aufbruch. Gerade da klingelte mein Handy. Antti rief an, er war fuchsteufelswild.
»Wo steckst du denn!«, brüllte er. »Ich muss in anderthalb Stunden im Kulturzentrum sein!«
»Ich bin in Ströms Wohnung. Er hat sich erschossen.«
Das brachte ihn zum Verstummen. Ich sagte, ich wäre wahrscheinlich in einer Stunde zu Hause, dann würde er es noch schaffen, wenn er das Auto nahm. Doch er hatte bereits seine Schwester Marita angerufen und sie gebeten, auf Iida aufzupassen.
Obwohl der Krankenwagen längst abgefahren war, standen immer noch Gaffer auf dem Hof. Ich musste ziemlich kurbeln, um am Fahrzeug der Techniker vorbeizukommen. Zum Glück fuhr ich allein und konnte mich unterwegs ein wenig sammeln.
Ströms Exfrau wohnte mit ihren Kindern und ihrem zweiten Mann in Mankkaa, in dem Reihenhaus, in dem sie vor der Scheidung mit Pertsa gelebt hatte. Puupponen parkte hinter mir, wir betrachteten das stimmungsvolle Licht, das durch die Spitzengardinen vor dem Küchenfenster drang, und es tat mir Leid um die Idylle, die wir nun zerstören mussten.
Marja Hirvi, geschiedene Ström, öffnete uns die Tür. Ich hatte sie ein paar Mal flüchtig im Präsidium gesehen, wenn sie die Kinder bei Pertsa ablieferte. Sie war Ende dreißig, klein und braun gebrannt, und wirkte irgendwie schutzbedürftig. Die dunkelgrünen Leggings und die hüftlange, sonnengelbe Bluse betonten ihr mädchenhaftes Aussehen.
»Guten Abend, ich glaube, wir sind uns schon einmal begegnet. Hauptkommissarin Maria Kallio und Kriminalmeister Puupponen von der Espooer Polizei.«
In ihrem Gesicht erschienen plötzlich Falten. Sie war lange genug mit einem Polizisten verheiratet gewesen, um zu wissen, dass wir ihr keinen Höflichkeitsbesuch abstatteten.
»Pertti?«, fragte sie. »Was ist passiert?«
Von drinnen hörte man einen aufgebrachten Wortwechsel in kalifornischem Englisch: Die Reichen und die Schönen berede-ten wieder einmal ihre verwickelten zwischenmenschlichen Beziehungen.
»Sind Jani und Jenna zu Hause?«
Marja nickte.
»Am besten erzählst du es ihnen. Es tut mir
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