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Der Wind über den Klippen

Der Wind über den Klippen

Titel: Der Wind über den Klippen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Lehtolainen
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Versuche, über andere Dinge zu reden – über die beginnende Eishockeysaison oder über Fernsehsendungen, die keiner von uns gesehen hatte –, war das Gespräch zwangsläufig auf Ström gekommen. Wang und Puupponen hofften, Pertsa würde versetzt. Anus Verbitterung war verständlich, denn zu ihr war Ström noch widerwärtiger gewesen als zu den anderen. Puupponen hatte gesagt, in gewisser Weise könne er Ström verstehen. Auch er hatte Ari Väätäinen bereits mehrmals vernommen und verabscheute dessen Einstellung gegenüber Frau und Kindern.
    Dennoch hatte ein Polizist kein Recht zuzuschlagen.
    Pertsa hatte versucht, den Staatsanwalt zu der Vernehmung hinzuzuziehen, doch es hatte Terminschwierigkeiten gegeben.
    Die Voruntersuchung musste trotzdem sofort eingeleitet werden, denn vorläufige Festnahmen waren auf achtundvierzig Stunden begrenzt, und für einen Haftbefehl mussten ausreichende Gründe vorgelegt werden. Solche Gesetze schützten die Täter effektiver als die Opfer, hatte Puupponen geklagt und dabei fast wie Pertsa geklungen. Doch Pertsa hatte nicht aus Frust über die Vorschriften zugeschlagen, sondern weil Väätäinens Worte seinen sorgfältig aufgebauten Schutzwall eingerissen hatten.
    Der Benzingestank in der Kajüte war Ekel erregend. Meine Haare rochen nach Rauch, obwohl Puupponen als Einziger geraucht hatte. Ich beschloss, an Deck zu gehen, und schob Koivu vorsichtig zur Seite. Er stöhnte im Schlaf und sackte auf die Bank. Seine Haltung erinnerte mich an Iida, wenn sie im Kindersitz im Auto schlief.
    In der Nacht war es unter null Grad gewesen, das Meer strahlte Kälte ab. Es hatte die durchscheinende, dunkelblaue Färbung zurückgewonnen, die ihm die grünen Algen im Sommer geraubt hatten. Die Sonne stieg zielbewusst in den Zenit, ich wandte ihr das Gesicht zu, als gäbe ihr Licht mir Kraft. Wir passierten die Insel Stora Herrö, und die Luft war so klar, dass man im Süden flimmernd die Silhouette von Tallinn erkennen konnte.
    Mikke Sjöberg hatte gegen halb zwei angerufen, als die Besprechung mit Taskinen und dem Polizeichef gerade begonnen hatte. Er hatte sich widerspruchslos bereit erklärt, uns nach Rödskär zu begleiten. Katrina Sjöberg war am Abend nach Åland abgefahren. Ich hatte keinen Grund gesehen, ihre Abreise zu verzögern. Bei Harris Tod war sie weit weg gewesen, und für den Mord an ihrem Stiefsohn war sie auch nicht meine Hauptverdächtige.
    »Ein schöner Tag«, sagte ich halb zu Mikke, halb zum Kapitän. Obwohl die Windstärke nicht mehr als drei Meter pro Sekunde betrug, drang die Brise durch Lederjacke und Pullover und ließ mich bedauern, dass ich nicht so schlau gewesen war, eine Mütze aufzusetzen wie Mikke. Der Nachtfrost hatte die kleinen Espen auf den Schären im Nordwesten leuchtend rot gefärbt, ihr Spiegelbild zerlief in den Heckwellen unseres Bootes, und sekundenlang sah es aus, als wären Blutstropfen auf der Wasseroberfläche.
    Ich setzte mich neben Mikke auf die Sitzkiste. Als wir uns am Morgen im Yachthafen von Suomenoja getroffen hatten, hatte er gesagt, inzwischen habe er sowohl von Jiri als auch von Anne erfahren, dass wir ein Kapitalverbrechen vermuteten. Sein Gesicht war müde und verkniffen. Ihm war deutlich anzusehen, dass er etwas verschwieg. Ich war mir sicher, er wusste, womit Juha erschlagen worden war, denn als ich ihm den Taucher vorgestellt hatte, war er sichtlich nervös geworden. Erst auf dem offenen Meer hatte er sich beruhigt. Tapio Holma dagegen verhielt sich, als wäre er auf einer Vergnügungsfahrt.
    Allmählich zeichnete sich Rödskär am Horizont ab. Die flim-mernde Luft trennte die Felsen und Gebäude vom Meer, es war, als schwebte ein Märchenschloss mit Türmen und Mauern über dem Wasser.
    »Bei diesem Wind ist es kein Problem, an der Ostseite anzulegen!«, rief Mikke dem Kapitän zu. Er musste brüllen, um das Motorengeräusch zu übertönen. Mit der »Marjatta« waren wir im Sommer friedlich und leise zur Insel gesegelt, doch jetzt überlagerte das Stampfen des Bootsmotors alle anderen Geräusche, und der Benzingeruch erstickte den bittersalzigen Duft des herbstlichen Meeres. Ich verstand, warum Mikke nicht gern mit Motorkraft fuhr. Durch den Motor war kaum mehr das Schaukeln der Wellen wahrzunehmen. Jedes Gespür für das Meer ging verloren.
    »Bei dieser Windstille könnten wir an der Westseite vorbeifah-ren, um den Unglücksfelsen vom Meer aus zu sehen«, sagte ich zum Kapitän. Ich hatte auf der Seekarte nachgesehen und

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