Der Wind über den Klippen
der beiden Kleidungsstücke, die Jiri für wert befunden hatte, auf einen Bügel zu hängen. Zwei Hosen, T-Shirts und Pullover sowie Socken und Unterwäsche lagen ordentlich gestapelt in den Schrankfächern.
Alles war ungebügelt, wahrscheinlich hielt Jiri Bügeln für Energieverschwendung.
Tapio Holma tauchte hinter Riikka auf, fasste sie an den Schultern, drehte sie zu sich herum und schloss sie in die Arme.
»Guten Tag. Wie war es beim Arzt?«, fragte ich, als wäre von Jiri nie die Rede gewesen.
»Es ist ganz positiv verlaufen. Ich werde mich wohl operieren lassen. War Jiri tatsächlich an der Sache in Kauklahti beteiligt?
Im Radio war von Brandstiftung die Rede.«
»Jedenfalls war Jiri mit anderen RdT-Mitgliedern am Ort.«
Riikka stöhnte auf und begann zu schluchzen. Hatte die Sicherheitspolizei Anne Merivaara bereits benachrichtigt? Jiri konnte bis zum Sonntagvormittag festgehalten werden. Ich hoffte, sie würden ihn nicht freilassen, bevor auch ich Gelegenheit gehabt hatte, mit ihm zu sprechen. Eigentlich hatte ich mich auf das freie Wochenende und auf das Fußball-Länderspiel Finnland-Ungarn gefreut, bei dem sich entscheiden würde, ob Finnland an der Weltmeisterschaft teilnahm. Wer weiß, was nun aus meinen Plänen wurde.
»Jiri war also an der Brandstiftung beteiligt?«, hakte Holma nach.
»Es sieht so aus. Die Ermittlungen dauern noch an. Macht euch darauf gefasst, dass die Sicherheitspolizei auch euch vernimmt. Riikka, ich brauche eine offizielle Aussage von dir.
Wie ist es mit dem Montag?«
»Ich habe eine Prüfung, außerdem weiß ich nichts!« Sie wandte mir ihr verweintes Gesicht zu, Holma sah mich vor-wurfsvoll an. Dass Koivu sich gerade in diesem Moment an uns vorbeischob und anfing, Jiris Sachen in die Müllsäcke zu schaufeln, verbesserte die Atmosphäre nicht unbedingt.
»Riikka, weißt du, wo Jiri den Schlüssel zur obersten Schreibtischschublade aufbewahrt?«, fragte ich. Die Antwort war ein wütendes Nein. Ich überlegte kurz und beschloss dann, die Schublade nicht aufzubrechen. Mochte die Sicherheitspolizei es tun, wenn sie es für nötig hielt.
»Du hast also Aussichten, dass deine Stimme wiederhergestellt wird?«, fragte ich Holma freundlich. Sekundenlang sah er mich verständnislos an, doch dann sagte er:
»Vielleicht, vielleicht auch nicht. Der Phoniater meint, ein Versuch würde sich lohnen, wenn ich schnell genug in Behandlung komme. Er hat versprochen, sich mit einem Kollegen in Los Angeles in Verbindung zu setzen, wo schon mehrere derartige Operationen gemacht wurden.«
»Prima. Allerdings darfst du vorläufig das Land nicht verlassen.«
»Jetzt reicht’s aber!« Zum ersten Mal sah ich den jovialen Holma die Beherrschung verlieren. »Was soll dieser Zirkus?
Wegen Juha etwa …? Ich habe ihn nicht umgebracht! Klärt den Mord endlich auf, statt unschuldigen Leuten Scherereien zu machen!«
Er drehte sich um und zog Riikka mit sich fort. Koivu sah mich an und verzog das Gesicht, ich tat es ihm nach.
»Ich schau noch rasch in die Saunaräume und in Riikkas Zimmer«, sagte ich, als Koivu sich daranmachte, die Müllsäcke zum Auto zu schleppen.
Die Saunaabteilung war geräumig und gemütlich. Kaminzim-mer, Wintergarten und Duschraum bildeten einen Komplex, der zum Faulenzen einlud. In einer Ecke des Duschraums stand ein zwei Meter breiter Whirlpool, der mit Gärflaschen, offenbar zur Weinherstellung, vollgestellt war. Vielleicht benutzte die Familie die Energie verschwendende Wanne nicht mehr. Die Sauna wurde mit Holz geheizt, auf den Pritschen konnten sich mindestens zwei Personen lang ausstrecken. Im Untergeschoss befand sich außerdem ein Hauswirtschaftsraum, der einzige fensterlose Raum im ganzen Haus. Waschmaschine und Trockner waren teure, im Verbrauch sparsame Modelle, beide mit Umweltgütesiegeln dekoriert.
Was sagten diese Räume über Juha Merivaara aus? Eigentlich nur, dass er versucht hatte, komfortabel und dennoch umweltschonend zu leben. Für die Einrichtung waren ausschließlich haltbare, teure und hochwertige Produkte angeschafft worden.
Die Prinzipien des Mannes – oder seiner Frau – waren im ganzen Haus zu erkennen, aber über den Mann selbst sagte es wenig aus.
Außergewöhnlich wenig.
Ich ging zurück ins Obergeschoss. Koivu war ins Haus zu-rückgekehrt und unterhielt sich mit Holma über das Feuer in Kauklahti, Riikka hantierte geräuschvoll in der Küche. Ich hörte den Wasserkessel pfeifen und verspürte plötzlich unbändige Lust auf
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