Der Wind über den Klippen
vervollständigten den höhlenartigen Eindruck. Ich knipste das Licht an und schrak zurück, als ich das Plakat über dem Bett erblickte. Es zeigte eine an Elektroden angeschlossene Katze. Augen und Nase des Tieres waren vereitert, das Maul stand halb offen, als ob die Katze vor Schmerz hechelte, der Körper schien sich zu ver-krampfen. Es war schwer vorstellbar, dass sich jemand freiwillig ein solches Bild an die Wand hängte.
Im übrigen war das Zimmer normal, wenn auch ausgesprochen spärlich möbliert. Die graue Decke auf dem schmalen Bett war vielfach geflickt. Im Bücherregal standen mehr CDs und Videokassetten als Bücher. Obwohl Jiri Energieverschwendung ablehnte, besaß er einen Videorecorder und eine Stereoanlage.
Einen Computer hatte er dagegen nicht, nur eine altmodische, mechanische Schreibmaschine. Auf dem Tisch lagen stapelwei-se Papiere, dazwischen ein verloren wirkendes Biologiebuch.
Ich nahm das oberste Flugblatt in die Hand. Es informierte über die Gründe, Shell zu boykottieren. Die Beschreibungen der Umweltzerstörung in Nigeria und des Mordes an Ken Saro-Wiwa waren leidenschaftslos und doch beeindruckend, ich nahm mir vor, künftig darauf zu achten, wo ich tankte. Das nächste Flugblatt war in einem anderen Ton gehalten, es bezeichnete die Direktoren der fleischverarbeitenden Industrie in den EU-Ländern als Mörder, die Genmanipulation betrieben.
Das dritte Flugblatt trat für die Freilassung der politischen Gefangenen in der Türkei ein und rief zum Boykott des Türkei-tourismus auf. Wie vielen Bürgerorganisationen gehörte Jiri eigentlich an?
»Interessante Videos«, sagte Koivu hinter mir.
Im Regal eines siebzehnjährigen Jungen hätte man Horrorfil-me oder Rockvideos erwartet, vielleicht auch den einen oder anderen Porno. Aber Jiris Kassetten trugen ganz andere Titel:
»Aktuelles Studio: Bericht über die Schlachtviehtransporte in der EU«, »Meet meat murderers«, »BBC: Animal Liberation Front and its supporters«, »Why do we do this? Legitime violence against animals«. Mehr als die Hälfte der Kassetten schien Material über die Tierrechtsbewegung zu enthalten.
Unter den Spielfilmen entdeckte ich einige bekannte, wie
»Trainspotting« und »Jurassic Park«.
»Nehmen wir die mit, oder überlassen wir sie der Sicherheitspolizei?«, fragte Koivu und deutete auf die Flugblätter.
»Irgendwer muss sie wohl durchsehen. Die Sicherheitspolizei interessiert sich bestimmt auch dafür«, seufzte ich. Die Durch-suchungen bei Tieraktivisten und in den Büros scheinbar harmloser Organisationen waren mir immer übertrieben erschienen, doch jetzt verhielt ich mich selbst nicht anders. Unter Jiris Papieren war eine Liste von Kosmetika, die nicht in Tierversu-chen getestet wurden. Bevor ich sie zurücklegte, vergewisserte ich mich, dass die Produkte, die ich verwendete, darauf standen.
Koivu schaltete den Fernseher ein und zappte sich durch die Kanäle. Das finnische MTV und sein internationaler Namens-vetter zeigten dasselbe Rapvideo, auf Eurosport kam eine Übertragung vom Traktorenziehen. Koivu suchte den Videoka-nal und drückte die Play-Taste.
Das Kreischen, das aus dem Fernseher drang, ließ uns beide zusammenfahren. Das Bild war körnig und dunkel, ganz offensichtlich war das Video ohne Stativ aufgenommen worden.
Eine Horde fast bewegungsunfähig gemästeter Schweine drängte sich in Panik aneinander. Die Person, die schrie, war maskiert, doch dem Körperbau nach handelte es sich um eine Frau. Sie kletterte verzweifelt an einem Stahlpfeiler hoch, um nicht von den Schweinen zertrampelt zu werden. Auch der Kameramann wich zurück, als die Herde die Richtung wechselte. Eine zweite schwarz gekleidete Gestalt öffnete die Tore am Ende der Halle, offenbar versuchte man die Schweine hinauszu-treiben. Ihr Grunzen und Quieken wurde lauter, sie wussten ganz offensichtlich nicht, was sie tun sollten. Ich glaubte den Geruch des Schweinestalls förmlich in der Nase zu spüren.
Dann ein Aufschrei, anscheinend vom Kameramann, denn die Aufnahme brach ab.
»Was nun?«, wunderte sich Koivu, doch da ging es bereits weiter. Jetzt stand eine Person in sackartigem Mantel und schwarzer Kommandomütze im Freien, im Hintergrund leuchteten die Lampen einer großen Fabrikhalle.
»Operation Free The Pigs was completed ten minutes ago. We succeeded …«
»Das ist ja gar nicht in Finnland«, dämmerte es Koivu. Wir hörten weiter zu, wie die Mitglieder des Stoßtrupps der ALF
berichteten, sie hätten
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