Der Wind über den Klippen
zurück. »Am Dienstag um halb elf im Präsidium. Frag bei der Information nach mir. War übrigens Seija Saarela oder Mikke seit Montag im Haus?«
»Sie waren beide am Mittwoch hier, Mikke ist über Nacht geblieben, weil seine Untermieter gekommen waren. Mutter hat ihm angeboten, bis zu Vaters Beerdigung hier zu wohnen, aber Mikke schläft lieber auf seinem Boot.«
Ich ging in den Flur und inspizierte die Tür zur Garage. Sie ließ sich ohne Schlüssel öffnen. Es war eine Leichtigkeit gewesen, die Taschenlampe unbemerkt in die Garage zu legen.
Koivu saß mit Holma in der Küche beim Kaffee. Der Kaffee-duft war verlockend, doch ich wollte bei den Merivaaras keine Zeit mehr verlieren. Auf meinem Schreibtisch wartete ein ganzer Stapel von Berichten, die ich wohl mitnehmen musste, wenn ich vor Iidas Schlafenszeit zu Hause sein wollte.
»Zu blöd, dass uns das Wochenende dazwischenkommt«, sagte ich unterwegs mit einem tiefen Seufzer. »Wenn die Lampe die Tatwaffe ist, kommen wir endlich einen Schritt weiter.
Zumindest haben wir dann nur noch sechs Verdächtige: die drei Merivaaras, Holma, die Saarela und Mikke Sjöberg. Katrina Sjöberg war schon auf dem Weg nach Åland, bevor die Lampe in die Garage gelegt wurde.«
»Welches Motiv sollte denn die Saarela haben?«, fragte Koivu zweifelnd.
»Vielleicht war es nichts weiter als ein typisch finnischer Streit um Alkohol: Juha Merivaara und Seija Saarela haben sich um eine Cognacflasche gezankt, und schließlich hat die Saarela ihm die Flasche über den Kopf gezogen.«
»Aber in der Wunde wurde kein Cognac gefunden …«
»Koivu!« Im Allgemeinen begriff mein lieber Kollege sofort, wenn ich einen Witz machte, doch der ereignisreiche Tag schien seinen Tribut zu fordern.
Eine Weile blickte ich stumm auf den riesigen Stapel auf meinem Schreibtisch. Der Briefumschlag von der Sicherheitspolizei wog mindestens zwei Kilo. Ein Bericht von Puustjärvi, ein weiterer von Lähde, ein Memorandum der Provinzialpolizei, dessen Thema aus der Überschrift nicht hervorging, und eine Mitteilung vom Kriminalamt, die ich rasch überflog. Pertsas Sündenregister war schon vor dem jüngsten Vorfall so lang gewesen, dass der Untersuchungsausschuss empfahl, seine Suspendierung bis zum Ausgang des Prozesses fortzusetzen.
Väätäinen würde zweifellos Anzeige erstatten. Auch die Personalabteilung hatte mir etwas mitzuteilen: Aufgrund finanzieller Engpässe könne für die Zeit von Ströms Suspendierung keine Vertretung gestellt werden. Frustriert versetzte ich dem Stuhlbein einen Tritt. Unser Dezernat würde sich in den nächsten Wochen zu Tode schuften müssen.
Ich stopfte die Papiere in den Rucksack und machte mich zu Fuß auf den Heimweg. Am Morgen war ich mit dem Bus gefahren, denn es kam mir immer noch seltsam vor, den Dienstwagen zu benutzen. Ich überquerte die Schnellstraße nach Turku und ging über gewundene Nebenstraßen auf die Felder von Henttaa zu. Die vertraute Landschaft westlich von Taavin-kylä gab es nicht mehr, auf den ehemals grünen Feldern lagen meterhohe Erdhaufen. Um meine gewohnte Abkürzung zu erreichen, musste ich quer über eine Baustelle laufen. Ich wusste, dass das Betreten verboten war, scherte mich aber nicht darum. In einiger Entfernung wühlten zwei Bagger die Erde auf, einer der Arbeiter rief mir etwas zu, doch ich ging einfach weiter.
In den rund drei Jahren, die wir nun schon in Henttaa lebten, hatte sich die Umgebung sehr verändert. Auf den unbebauten Grundstücken waren protzige Häuser entstanden, neben denen sich unser anderthalbstöckiges Holzhaus wie ein Elendsquartier ausnahm. Im Frühjahr hatte das Technische Zentralamt der Stadt den nahe gelegenen Bach über Hunderte von Metern ausgebag-gert und die Bäume am Ufer gefällt. Antti hatte sich einer Bürgerbewegung angeschlossen, die die Einstellung der Arbeiten gefordert hatte. Zwar hatten die Proteste die Trockenlegung des sumpfigen Naturschutzgebiets Lillträskmossen verhindert, doch die kahl geschlagenen Bachufer boten einen traurigen Anblick. Wo früher Schaumkraut wuchs, lag nun aufgewühlter Sand.
Einstein hockte schlotternd vor der Tür, auf der Treppe prangten die Überreste eines Maulwurfs. Um die Gefühle der Katze nicht zu verletzen, lobte ich sie für ihren Beitrag zur Nahrungs-beschaffung und beschloss, den kleinen Kadaver später zu entsorgen. An dem Tag, als ich mit Iida aus der Klinik gekommen war, hatte Einstein mit der Intensivjagd begonnen und eine Woche lang täglich
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