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Der Wind über den Klippen

Der Wind über den Klippen

Titel: Der Wind über den Klippen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Lehtolainen
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mindestens zwei kleine Nagetiere ange-schleppt. Als er die ersten Vögel erlegte, banden wir ihm eine Glocke um den Hals, die er hasste.
    Meine Schwestern hatten uns vor Iidas Geburt gedrängt, den Kater abzuschaffen, weil er in den Wagen springen und das Baby ersticken oder ihm die Augen auskratzen würde. Wir hatten uns stellvertretend für unser Haustier beleidigt gefühlt; zu Recht, denn Einstein hielt gebührenden Abstand von Iida, vor allem, seit sie sich allein fortbewegen konnte. Ein paar Mal hatten wir Iida erlaubt, dem Kater ein Milchdragee zu geben.
    Nur dann hatte er sich in ihre Nähe gewagt.
    In der unteren Etage herrschte der übliche frühabendliche Lärm. Iida spielte mit ihrer Holzeisenbahn, Antti lag auf dem Fußboden, trank Rotwein und hörte Eppu Normaali: »Alles Schöne ist naiv – warum? Der Markt die treibende Kraft –
    warum? Weshalb ist das Schöne nur ein Witz, Glück nur Tand und Kitsch? Einst waren Pfeifen aus Holz und Hippies stark und stolz.«
    »Entspricht das deiner Stimmung?«, fragte ich und drehte die Lautstärke herunter.
    »Hast du von dem Feuer im Schlachthof in Kauklahti gehört –
    ach was, natürlich hast du davon gehört.«
    »Ich war sogar dort, riechst du es nicht?«
    »Haben die Typen von der RdT das Feuer gelegt?«
    »Die Ermittlungen laufen noch, aber die Sicherheitspolizei hat den Fall übernommen.«
    »Die verdammten Idioten! Begreifen die nicht, dass sie der ganzen Umweltbewegung schaden? Durch ihre blödsinnigen Aktionen werden auch die vernünftigen Kampagnen abgestem-pelt!« Antti trank einen Schluck Rotwein. Ich setzte mich neben ihn, Iida krabbelte auf meinen Schoß.
    »Du brauchst Abwechslung, sonst grübelst du zu viel. Komm doch morgen mit zum Fußballspiel, unser Freizeitkomitee hat noch ein paar Karten. Wir können Iida zu deiner Schwester nach Tapiola bringen, wenn deine Mutter keine Zeit hat, auf sie aufzupassen.«
    Antti schüttelte den Kopf, Fußball interessierte ihn nicht. In unserer Familie war ich diejenige, die sich Sport ansah, hauptsächlich Eiskunstlauf und Leichtathletik, manchmal auch Eishockey und Fußball.
    »Ist noch Rotwein übrig?«
    Ich goss mir ein Glas ein, schmierte ein Butterbrot und beschloss, gewissenhaft zu sein und einen Blick auf die Liste der mutmaßlichen RdT-Mitglieder zu werfen. Die erste Fassung war vor anderthalb Jahren entstanden, als die Organisation ihre ersten spektakulären Auftritte inszeniert und unter anderem die Schaufenster von Metzgereien und Pelzgeschäften mit ihren Parolen beschmiert hatte. Ich suchte nach Jiri Merivaara, doch er stand damals noch nicht auf der Liste. Dafür fand ich einen anderen Namen, den ich kannte.
    Harri Immonen.
    Elf
    Das dunkle tschechische Bier schmeckte himmlisch. Zigaretten-rauch kroch in meine Lungen, halb Helsinki schien sich im
    »Mr. Pickwick« an der Mannerheimintie zu drängen, um sich vor dem Länderspiel Finnland-Ungarn in Stimmung zu bringen.
    Von der Espooer Polizei hatten sich etwa vierzig Fans eingefun-den. Unser Dezernat war fast vollständig vertreten, nur Puustjärvi hatte es vorgezogen, zum Gospielen zu gehen.
    Taskinen übte sich im Fahnenschwingen, und Puupponen hatte sich die finnische Flagge auf die schmalen, sommersprossigen Wangen gemalt.
    »Nieder mit den Paprikas!«, grölte er, offenbar erschien ihm diese Bezeichnung für den Gegner herabsetzend genug.
    »Trinkt euer Bier aus, dann gehen wir!«, kommandierte Taskinen mit Chefstimme. Ich zog die Wollsocken an, darüber Gummistiefel. Der Regen, der den ganzen Tag heruntergepras-selt war, schien gegen Abend immer heftiger zu werden. Wie gut, dass wir uns von innen gewärmt hatten.
    Es machte Spaß, mit den Kollegen ins Stadion zu gehen und ordentlich Radau zu machen, ich hielt dabei aber trotzdem nach Kantelinen vom Wirtschaftsdezernat Ausschau, denn der Bericht über die wirtschaftliche Lage der Merivaara AG hatte wider Erwarten nicht auf meinem Schreibtisch gelegen. Offenbar war Kantelinen überarbeitet, jedenfalls erschien er nicht zum Spiel.
    Man sah es unserer grölenden Clique, die schon ein oder zwei Bierchen gekippt hatte, sicher nicht an, dass sie aus Polizeibeamten bestand. Wir trugen Lederjacken, Jeans oder ausgebeulte Trainingshosen, Schirmmützen, Zipfelmützen, Wegwerf-Regencapes – nicht einer von uns wäre auf die Idee gekommen, die offizielle dunkelblaue Regenkleidung der Polizei anzulegen.
    Auch Taskinen hatte Anzug und Popelinemantel zu Hause gelassen. In seinem Sportdress sah er aus

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