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Der Windsänger

Titel: Der Windsänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Nicholson
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er den beiden Wächtern mit gemäßigterer Stimme und die Wächter machten sich daran, Hanno Hath vom Hof zu treiben. »Und dieses Mädchen kommt zur Spezialschulung.« 
    »Nein!«, rief Hanno Hath. »Ich flehe dich an, bitte, das nicht!« 
    »Papa«, kreischte Kestrel und zappelte wild. »Papaaaa!« Doch sie wurde bereits in die entgegengesetzte Richtung geschleppt. Der Oberste Prüfer sah mit ungerührter, grimmiger Miene zu. 
    »Was können Sie mir denn noch antun, sagtest du doch, oder?«, murmelte er vor sich hin. Dann schritt er davon, um sich einen sauberen weißen Talar anzuziehen. 
    Das für die Spezialschulung vorgesehene Gebäude lag an einem kleinen verlassenen Platz im alten Teil des Palastes. Der Bau unterschied sich kaum von den übrigen Häusern in diesem prächtigsten Stadtbezirk. Drei Stufen führten zu einer hohen, schönen Tür. Sie wurde von innen geöffnet, als sich der Wächter mit Kestrel in den Armen näherte. Ein grau gekleideter Türsteher schloss sie hinter ihnen. 
    »Auf Befehl des Obersten Prüfers«, erklärte der Wächter. Der Türsteher nickte und öffnete eine weitere Tür. Kestrel wurde in ein langes, schmales Zimmer gestoßen und ohne ein weiteres Wort dort zurückgelassen. Die Tür schnappte hinter ihr zu. Sie war allein. 
    Jetzt erst bemerkte Kestrel, dass sie vor Angst, Wut und Erschöpfung heftig zitterte. Sie atmete ein paar Mal tief durch, um sich zu beruhigen. Dann blickte sie sich im Zimmer um. Es war leer und hatte keine Fenster. 
    Kestrel sah sich die Tür an und hoffte sie vielleicht irgendwie öffnen zu können. Eine Klinke gab es nicht. Kestrel befühlte die Tür von oben bis unten und an allen Kanten, doch sie war fest verschlossen und schien sich von innen nicht öffnen zu lassen. Sie drehte sich wieder um und schaute sich das Zimmer genauer an. 
    Eine Wand war von einem bodenlangen, schlichten grauen Vorhang verdeckt. Kestrel zog ihn zurück und entdeckte ein Fenster dahinter, durch das man in ein sehr viel größeres Zimmer blicken konnte. Vorsichtig zog sie den Vorhang ganz zurück und betrachtete die seltsame Szene hinter der Scheibe: Eine große Anzahl von Kindern, hundert vielleicht, saß mit dem Rücken zu ihr in einem Klassenzimmer. Alle beugten sich über ihre Bücher und arbeiteten still für sich. Zumindest nahm Kestrel das an, denn durch die Fensterscheibe drang kein einziger Laut. Vorne im Klassenzimmer war ein Lehrerpult und eine Tafel, aber kein Lehrer. 
    Die Kinder in den hinteren Tischreihen saßen ziemlich nah am Fenster. Vielleicht würden sie ihr helfen. Kestrel klopfte leise gegen das Glas, falls doch ein Lehrer in der Nähe war. Die Kinder rührten sich nicht. Sie klopfte lauter und schließlich klopfte sie, so laut sie konnte, doch die Kinder schienen nichts zu hören. Allmählich wurde ihr klar, dass irgendetwas mit diesen Kindern nicht stimmte. Sie hatten die Köpfe so tief über die Bücher geneigt, dass sie ihre Gesichter nicht sehen konnte, aber ihre Hände waren ungewöhnlich faltig. Ihre Haare waren grau oder weiß, und wie sie erst jetzt bemerkte, hatten einige von ihnen eine Glatze. Jetzt, da sie genauer hinschaute, wunderte sie sich, dass sie sie überhaupt für Kinder gehalten hatte. Und dennoch hatten sie die Größe von Kindern und eine kindliche Gestalt. Und sicher… 
    Plötzlich öffnete sich die Tür hinter ihr. Kestrel drehte sich mit klopfendem Herzen um. Eine Prüferin mittleren Alters in einem scharlachroten Talar trat ein und schloss die Tür hinter sich. Sie hielt eine offene Mappe in der Hand und schaute von ihren Unterlagen zu Kestrel und wieder zurück auf ihre Unterlagen. Die Frau hatte ein freundliches Gesicht. 
    »Kestrel Hath?«, fragte sie. 
    »Ja«, erwiderte Kestrel ruhig. »Madam.« Sie faltete die Hände und senkte den Blick. Aus einer plötzlichen Eingebung heraus hatte sie beschlossen ein braves Mädchen zu sein. 
    Die Prüferin schaute sie verwirrt an. »Was hast du getan, Kind?« 
    »Ich hatte Angst«, antwortete Kestrel mit dünner Stimme. »Da muss ich wohl in Panik geraten sein.« 
    »Der Oberste Prüfer hat die Spezialschulung für dich vorgesehen.« Sie warf beim Sprechen einen flüchtigen Blick auf die Klasse, die still auf der anderen Seite des Fensters arbeitete, und schüttelte den Kopf. »Das scheint mir ein bisschen übertrieben.« 
    Kestrel schwieg, bemühte sich aber angestrengt darum, betrübt und brav auszusehen. 
    »Du musst wissen, die Spezialschulung ist für besonders

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