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Der Windsänger

Titel: Der Windsänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Nicholson
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zusammenrollten. Bowman war von den schrecklichen Ereignissen des Tages erschöpft und schlief bald tief und fest, doch Kestrel behielt die Augen noch eine Weile offen, beobachtete die Schlammmenschen und lauschte ihrer Unterhaltung. Willum hatte etwas aus seiner Tasche geholt. Er gab es dem alten Mann und beide kicherten leise in der Ecke. Jum hatte etwas auf dem Feuer – es sah aus wie eine riesige Menge Eintopf. Pollum löcherte sie mit Fragen. 
    »Warum sind die so dünn, Mum?« 
    »Nicht genug zu essen. Gibt man keine Schlammnüsse da oben, weißt du.« 
    »Keine Schlammnüsse?« 
    »Die haben man keinen Schlamm dafür.« 
    »Keinen Schlamm?« 
    »Vergiss das nich, Pollum. Du hast man großes Glück.« 
    Kestrel versuchte weiter zuzuhören, doch die Stimmen wurden immer leiser und undeutlicher und die Schatten des Feuers, die am Kuppeldach tanzten, wurden zu einem warmen, weichen Schleier. Sie kuschelte sich tiefer in ihr gemütliches Nest. Wie sehr ihre Beine schmerzten… und wie schön es war, in einem Bett zu liegen, dachte sie noch. Ihre Augenlider wurden so schwer, sie schloss die Augen und einen Augenblick später war sie fest eingeschlafen. 

11 Schlammnussernte 
    Als sie aufwachten, fiel sanftes graues Tageslicht durch den Rauchabzug in die Höhle. Alle waren verschwunden außer Pollum, die still am Feuer saß und darauf wartete, dass sie aufwachten. Mumpo war nirgendwo zu sehen. 
    »Euer Freund ist draußen aufm See«, sagte Pollum. »Hilft bei der Ernte.« 
    Sie hatte schon ein Frühstück für sie zubereitet: einen Teller mit etwas, das aussah wie Kekse. Es stellte sich aber heraus, dass es gebratene Schlammnussscheiben waren. 
    »Esst ihr nie etwas anderes als Schlammnüsse?«, wollte Kestrel wissen. Pollum schien die Frage gar nicht zu verstehen. 
    Beim Essen besprachen die Zwillinge, was sie als Nächstes tun wollten. Sie wussten nicht, wo sie genau waren, und sie hatten Angst. Ihre Mutter machte sich bestimmt schreckliche Sorgen um sie. Doch Kestrel wusste genau, dass sie in das Aramanth, das sie kannte, nicht mehr zurückkehren konnte. 
    »Sie würden uns zu den alten Kindern schicken«, sagte sie. »Lieber sterbe ich.« 
    »Dann weißt du, was wir zu tun haben.« 
    »Ja.« 
    Sie zog die Karte hervor, die ihr der Kaiser gegeben hatte, und sie studierten sie gemeinsam. Mit dem Finger verfolgte Bowman die Linie, die den Großen Weg darstellte. 
    »Wir müssen diese Straße finden.« 
    »Zuerst müssen wir hier herausfinden.« 
    Sie fragten Pollum, ob es einen Weg nach »da oben« gebe, doch sie sagte Nein, sie habe noch nie von einem gehört. Auch diese Frage schien sie zu verwirren. 
    »Es muss einen Weg geben«, meinte Kestrel. »Schließlich kommt Licht herein.« 
    »Na ja«, erwiderte Pollum nach einigem Nachdenken, »man kann herunterfallen, aber nicht hinauf.« 
    »Die Erwachsenen wissen es sicher. Wir werden sie fragen. Wann kommen sie zurück?« 
    »Erst spät. Heute ist Ernte.« 
    »Was für eine Ernte?« 
    »Schlammnüsse«, erklärte Pollum. 
    Sie stand auf und begann das Frühstücksgeschirr wegzuräumen. Bowman und Kestrel redeten leise weiter. 
    »Was machen wir mit Mumpo?« 
    »Er sollte mitkommen«, antwortete Bowman. »Mit ihm ist mehr anzufangen als mit mir.« 
    »Sag doch so etwas nicht, Bo. Gleich fängst du wieder an zu weinen.« 
    Und tatsächlich, er war den Tränen nahe. »Es tut mir Leid, Kess. Ich bin einfach nicht mutig.« 
    »Es kommt nicht allein darauf an, mutig zu sein.« 
    »Papa hat mich gebeten auf dich aufzupassen.« 
    »Wir werden beide aufeinander aufpassen«, entschied Kestrel. »Du bist derjenige, der fühlt, und ich diejenige, die handelt.« 
    Bowman nickte bedächtig. So empfand er das eigentlich auch, doch hatte er es sich noch nie so klar gemacht. 
    Inzwischen hatte Pollum das Geschirr zum Einweichen in eine Pfütze von wässrigem Schlamm gestellt. »Zeit, auf den See rauszugehen«, verkündete sie. »Erntezeit, wisst ihr. Da helfen alle mit.« 
    Sie beschlossen sie zu begleiten und Willum zu suchen. Irgendwie mussten sie einen Weg nach draußen finden. 
    Was sie sahen, als sie aus der Wohnhöhle kletterten, unterschied sich deutlich von dem trostlosen Untersee des vergangenen Abends. Überall leuchtete und funkelte es – die Sonne strahlte durch die Löcher im silbernen Salzdach herab und bildete Lichtkreise auf der Seeoberfläche, die gleißend hell waren. Von dort breitete sich das Licht aus, wurde dabei milder

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